Der untere Rücken oder vielleicht auch der Gesäßbereich schmerzen? Wenn Du schon einige Artikel von mir gelesen hast, dann wirst Du vielleicht nicht ganz so schnell die Hypothese „Ischias“ in den Raum werfen. Vielen Patienten geht es aber noch anders und sie werden diese Eigendiagnose schnell stellen, was leider oft genug zu Nocebos führt. Egal, ob Du schon etwas fortgeschrittener bist in Deinem medizinischen Wissen oder nicht, nach diesem Artikel, wirst Du über den Ischias und auch Deinen Rücken genauer Bescheid wissen.

Anatomie

Der Ischiasnerv (auf schlau: Nervus ischiadicus) beginnt im Bereich des unteren Rückens (4. Lendenwirbel bis 3. Sakralwirbel). Er ist der größte Nerv im menschlichen Körper und enthält sowohl sensible als auch motorische Fasern.

Die Nervenwurzeln vereinigen sich aus dem Plexus sacralis und ziehen unterhalb der Gesäßmuskulatur weiter in Richtung Kniekehle. Im Bereich des Oberschenkels verläuft er unter dem M. biceps femoris (der außen liegende Teil der ischiocruralen Muskulatur). Oberhalb des Kniegelenks teilt er sich in die beiden Äste (Nervus tibialis und den Nervus fibularis (peroneus) communis) auf. Wo diese Trennung exakt stattfindet, ist sehr unterschiedlich, teils findet diese bereits auf Höhe der Gesäßmuskulatur statt.

In der Fachliteratur findet man auch Verweise darauf, dass der Ischiasnerv eigentlich kein eigenständiger Nerv sei, sondern lediglich eine bindegewebige Zusammenlagerung der getrennten Faseranteile, quasi wie ein Kabelkanal.

Die beiden Anteile versorgen im weiteren Verlauf den Unterschenkel motorisch (komplett) und auch größtenteils sensibel (bis auf das Areal des N. saphenus).

Funktion des Ischiasnervs

Wie schon beschrieben, ist der Ischiasnerv von seiner Funktion ein gemischter Nerv, das heißt, er hat sowohl sensible als auch motorische Fasern.

Motorisch steuert er die Funktion folgender Muskeln:

  • M. adductor magnus (Adduktor, unterstützt Innenrotation bzw. Streckung jeweils der Hüfte)
  • Mm. ischiocrurales (Beuger des Kniegelenks, größtenteils auch Strecker der Hüfte)
    • M. semitendinosus (zusätzlich Innenrotation des Kniegelenks)
    • M. semimembranosus (zusätzlich Innenrotation des Kniegelenks)
    • M. biceps femoris (zusätzlich Außenrotation des Kniegelenks, der kurze Anteil streckt nicht die Hüfte)

 

Sensibel versorgt der Ischiasnerv den Rückseiten Oberschenkel und fast den gesamten Unterschenkel, bis auf einen Streifen am medialen (zur Körpermitte hin) Bereich des Unterschenkels.

Mögliche Beschwerden

Es gibt zwei Richtungen, über die sich Nervenproblemen zeigen können:

  1. Motorische Probleme (Kraftverlust)
  2. Sensible Beschwerden (Parästhesien, Schmerzen, Taubheit, Verlust der Beweglichkeit)

 

Je nachdem, welcher Anteil eines Nervs betroffen ist, tritt entweder nur ein Teil oder auch beide auf. Motorische Beschwerden sind meiner Erfahrung nach zum Glück deutlich seltener, als sensible Beschwerden. Starke motorische Ausfälle sind dann auch meist einer der wenigen Gründe, die für eine zeitnahe Operation sprechen.

Oft überwiegen sensible Störungen, wie Taubheit, Parästhesien (Missempfindungen) oder auch Schmerzen. Schmerzen im Bereich des Rückens treten übrigens seltener bzw. stärker auf, als Schmerzen im Bereich des unteren Rückens. (4)

Je nach Auslöser können Husten, Niesen bzw. tiefes Atmen die Schmerzen verstärken.

Manchmal kann es bei Problemen im Bereich des Ischiasnervs auch dazu kommen, dass die Beweglichkeit im Bereich des Beines nachlässt. Es kann dann so wirken, als ob die ischiocrurale Muskulatur (Oberschenkelrückseite) „verkürzt“ wäre. Differenzieren lässt sich das zum Beispiel im Rahmen des „Straight Leg Raise“ (SLR) Tests (6) oder aber im Rahmen des Slump-Tests (Bild 1 und Bild 2). Diese Unterscheidung ist wichtig, um die passende Behandlung finden zu können.

Der SLR oder auch straight leg raise Test untersucht sowohl die Dehnbarkeit der Knie beugenden Muskulatur („Ischios“ oder Ischiocrurale Muskulatur), als auch die Dehnungstoleranz des Ischiasnervs.
Slump-Test für den Nervus ischiadicus (Ischiasnerv)
Bild 2 (Slump-Test)

Auslöser der Beschwerden

Auch hier gibt es viele Möglichkeiten. Die häufigsten (4) sind:

 

Eine weitere Möglichkeit sind Verletzungen zum Beispiel der ischiocruralen Muskulatur, Hüftgelenks-OPs, oder zu verspannte Muskeln (v.a. im Bereich der Gesäßmuskulatur, z.B. im Rahmen des sogenannten Piriformis-Syndroms).

Wichtig ist es im Rahmen der Untersuchung festzustellen, welcher Auslöser vorliegt, um die Behandlung möglichst effizient zu gestalten.

Therapie

Gerade wenn Du hörst, dass auch strukturelle Veränderungen zu Ischiasbeschwerden führen können, wirst Du vermutlich sehr schnell an eine OP denken, oder?

Diese kann tatsächlich zum Teil schneller eine Schmerzlinderung herbeiführen (6-26%), aber nach einem Jahr sind die Ergebnisse nahezu gleich. Aus diesem Grund wird meist empfohlen, zunächst 12 Wochen konservativ zu behandeln, bevor man überhaupt an eine OP denkt. Ausnahmen sind hier stärkere Symptome, wie Hinweise auf ein Cauda Equina Syndrom (Verlust der Blasen-/ Mastdarm-Funktion) oder rasche Zunahme einer Lähmung bzw. Unfähigkeit den betroffenen Körperteil gegen die Schwerkraft zu bewegen. (4)

Im Bereich der konservativen Behandlung kommt es ein Stück weit darauf an, was ursächlich ist.

Zunächst gilt aber, wie immer die Grundregel „Calm shit down, build shit up“. Weitere Informationen kannst Du auch im Artikel „Was tun bei Sportverletzungen?“ finden. Wichtig ist hier vor allem der zweite Teil der Regel.

Sinn macht es, ergänzend gezielte Übungen zur Kräftigung oder Nervenmobilisation (siehe nebenstehendes Video) durchzuführen.

Manuelle Therapie oder auch Osteopathie können zusätzlich oft bei der Linderung der Beschwerden helfen.

Die Nutzung von Schmerzmedikamenten ist eine sehr individuelle Entscheidung. In Leitlinien gibt es hierzu keine klare Empfehlung. Persönlich würde ich darauf verzichten, es sei denn, ich könnte vor Schmerzen nicht mehr schlafen. Das ist aber ganz klar meine persönliche Meinung!

Kortisoninjektionen, an die betroffene Nervenwurzel können manchmal zu einer ersten Linderung führen, sind aber, ähnlich wie Schmerzmittel im allgemeinen, eine sehr persönliche Entscheidung.

Prognose

Die Prognose bei Ischiasbeschwerden (Ischialgien) ist übrigens günstig. Nach einem Zeitraum von 12 Wochen berichten 50 % der Patienten über eine deutliche Besserung, nach 12 Monaten über 70 %. (4)

Wichtig ist auch zu sagen, dass auch alleine eine negative Überzeugung des Patienten (Nocebo) mit einer schlechteren Prognose im Zusammenhang stehen.

Fazit

Wie Du hoffentlich mitnehmen kannst, sind Ischiasbeschwerden zwar häufig schmerzhaft, aber ein Problem, was meist wieder vergeht. Wichtig ist, zum einen dieses Wissen, aber auch, die Behandlung an Deine Beschwerden optimal anzupassen. Schmerz hat viele Fazetten und auch Gründe. Je genauer eine Therapie an Dich angepasst ist, desto schneller kannst Du Deine Schmerzen wieder loswerden.

Und ich hoffe, dass Du auch mitnehmen konntest, dass Rückenschmerzen größtenteils nicht mit dem Ischiasnerv in Zusammenhang stehen.

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