Eine Herausforderung, wenn man im medizinischen Bereich arbeitet ist, dass man sehr häufig von Bekannten gefragt wird, was man bei Problem XY denn machen könne. Die Frage kann ich gut verstehen, aber eine Behandlung ohne Diagnose ist mehr als schwierig, auch wenn Dir viele vermeintliche Experten vor allem in den sozialen Medien etwas anderes verkaufen wollen (verkaufen ist hier übrigens ein wichtiger Stichpunkt). Denn eine Behandlung ohne Diagnose ist fast so, als würdest Du ohne Orientierung mitten im Nichts versuchen den richtigen Weg zu finden.

Natürlich gibt es allgemeine Ratschläge, die immer funktionieren. Bei Verletzungen würde ich mich am P.E.A.C.E. & L.O.V.E. Konzept entlang hangeln. Bei Schmerzen gibt es ein paar Maßnahmen, die oft bzw. immer passen, sodass hier zu einem gewissen Grad eine Behandlung ohne Diagnose möglich ist.

Oft kommt man damit aber nicht weiter und spätestens bei chronischen Schmerzen klappt das meistens nicht mehr, obwohl es natürlich auch hier Sinn macht, sich nochmal die Basics anzuschauen.

Wo die Herausforderungen sind eine Behandlung ohne Diagnose zu starten und wie ich versuche auf eine Diagnose zu kommen, das sind Themen dieses Blogartikels.

Behandlung ohne Diagnose

Kann eine Behandlung eigentlich ohne Diagnose stattfinden? Zugegeben, die Frage ist ein wenig philosophisch. Aber selbst wenn Du zu einfachen Maßnahmen wie einem Schmerzmittel greifst, wenn Dir etwas weh tut, ist es eigentlich keine Behandlung ohne Diagnose mehr.

Denn Du hast ja bereits in einer Eigenanamnese gemerkt, dass Dir etwas wehtut und die in Deinen Augen richtige Maßnahme gewählt, ein Schmerzmittel.

Natürlich ist diese Form der Diagnose sehr oberflächlich und mit Sicherheit könnten wir auch viel darüber diskutieren, ob man hier wirklich von einer Diagnose sprechen kann.

Aber auch wenn wir sicherlich darüber diskutieren könnten, wo eine diese anfängt und wann wir den Vorgang anders bezeichnen, einig sind wir uns sicherlich darin, dass die Eigenbehandlung mit Schmerzmitteln oft keine allzu genaue Diagnose ist und auch die Behandlung mit Sicherheit zielgerichteter stattfinden könnte.

Das Wort Diagnose stammt übrigens, vom altgriechischen Wort diágnosis und heißt soviel wie Unterscheidung oder auch Entscheidung.

Wie läuft also Diagnostik und auch eine entsprechende Behandlung ab?

DAWOS-Prinzip

Das DAWOS-Prinzip ist die Grundannahme, die viele Patienten, aber auch viele Behandler noch haben. Da, wo’s wehtut, da muss ich auch behandeln. Bei akuten Verletzungen trifft das auch meistens zu. Aber schwieriger wird es, wenn wir uns einen Bandscheibenvorfall, ein Karpaltunnelsyndrom oder andere Nervenproblematiken wie zum Beispiel Schmerzen durch den Ischiasnerv anschauen.

Auch bei Grunderkrankungen, wie z.B. Diabetes kann es zu Schmerzen kommen, vor allem wenn dieser schlecht behandelt wird. Die Schmerzen kommen dann, wenn Nervengewebe beschädigt wird.

Hier kann es zu Beschwerden und Schmerzen kommen, die teils weit entfernt von der Ursache der Problematik sind. Würden wir hier eine Behandlung ohne Diagnose starten und nur nach dem DAWOS-Prinzip arbeiten, kämen wir oft nicht sonderlich weit. Eine kurzfristige Linderung ist vielleicht möglich, aber langanhaltende Therapieerfolge wären dann doch eher Zufall und würden vermutlich mehr an dem natürlichen Heilungsverlauf liegen, als an der Therapie selbst.

Eine genaue Diagnostik sollte also mehr beinhalten, als nur an Ort und Stelle draufzuschauen und direkt eine Behandlung zu starten. Wie schon erwähnt, Unfälle ein Stück weit ausgeklammert.

Ablauf Diagnose

Eine Behandlung ohne Diagnose macht also wenig Sinn. Das Ziel ist also, eine möglichst genaue Diagnose zu stellen, wenn eine Therapie möglichst effizient gestaltet werden soll. Hierzu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die je nach Beschwerdebild zum Tragen kommen. Den Anfang sollte allerdings immer die Anamnese darstellen, nach der sich entscheidet, was die weiteren Schritte sind.

Das Ziel der gesamten Diagnostik ist immer ein möglichst schlüssiges Gesamtbild aufzudecken, worüber sich die Beschwerden erklären lassen. Verschiedene Puzzleteile werden also zusammengesetzt, damit sich ein schlüssiges Gesamtbild ergibt. Sowohl zu wenig, als auch zu viel Diagnostik sind nicht zielführend und können eine konkrete Diagnose erschweren. Ähnlich wie bei einem Puzzle, bei dem Du zu wenig Teile hast oder bei dem ein paar zusätzliche Teile in die Verpackung gelangt sind, die nicht dazugehören.

Anamnese

Das Wort Anamnese kommt, wie so viele medizinische Begriffe aus dem altgriechischen vom Wort anámnēsis, was soviel heißt wie Erinnerung.

In der Anamnese geht es darum, von Dir als Patient möglichst viele relevante Informationen über Deine Beschwerden zu sammeln. Persönlich nutze ich gerne als ersten Schritt der Anamnese einen Anamnesebogen, den ich Patienten vor der ersten Behandlung zukommen lasse.

Der Vorteil ist hierbei, dass Du Dir bereits Zuhause in Ruhe Gedanken machen kannst, über die Fragen, die meist relevant sind. Denn zu oft ist es so, dass einem viele Gedanken erst im Nachhinein nochmal kommen, wenn Denkprozesse angestoßen wurden.

Was bei mir relativ häufig in der Anamnese vorkommt ist, dass Du als Patient nicht auf alle Fragen Antworten parat hast, das ist vollkommen normal, da ich häufig im Detail nachfrage. Gerade bei Schmerzen finde ich es auch persönlich gut, wenn Du mir nicht im Detail beschreiben kannst, wann der Schmerz sich wie anfühlt. Sich zu viel darauf fokussieren kann manchmal nämlich auch dazu führen, dass Schmerzen verstärkt wahrgenommen werden.

Körperliche Untersuchung

Hier geht es zum einen darum, mir in der Inspektion mit meinen Augen einen Überblick zu verschaffen. Gibt es vielleicht im schmerzhaften Bereich Entzündungszeichen, wie Röte oder Schwellung? Fallen mir größere Fehlstellungen auf oder eine starke Beinlängendifferenz?

Der nächste Schritt ist die Palpation, also das Tasten mit meinen Händen. Wo spüre ich eine höhere Spannung in der Muskulatur oder ist der schmerzhafte Bereich vielleicht stark erwärmt, was wiederum für eine Entzündung sprechen würde.

Die Beweglichkeit teste ich meist aktiv und passiv. Das heißt, ich lasse Dich zum Beispiel problematische Bewegungen durchführen, um einen Hinweis darauf zu kriegen, was die Ursache sein könnte. Über das passive Bewegen lässt sich dann auch weiter unterscheiden, ob die Muskulatur Probleme macht oder ob andere Ursachen vorliegen.

Auch Reflextests oder abhören von beispielsweise Herztönen gehören mit zur körperlichen Untersuchung. Wobei ich in der Praxis letzteres eher selten benötige.

Spezielle Nerventests können mir zudem Hinweise liefern, inwieweit Nerven mit an der Entstehung der Schmerzen beteiligt sind.

Bildgebende Diagnostik

Bildgebung wie Röntgen, MRT oder auch Ultraschall sollten nur dann erfolgen, wenn ihr Ergebnis einen Einfluss auf die Behandlung hat.  Einfach mal schauen, ob man vielleicht einen Auslöser findet, ist nicht sonderlich zielgerichtet und kann zu mehr Problemen führen, als dass es einen Benefit hat. Das Thema habe ich aber bereits in einem früheren Artikel intensiver behandelt.

Manche Patienten bringen mir die Befunde oder auch Bilder zur Behandlung mit, die ich mir dann natürlich auch anschaue. Allerdings haben sie nur in einem eher geringeren Teil der Fälle eine große Rolle bei der Gestaltung der Behandlungen gespielt.

Wenn ich das Gefühl hatte, dass die Bildgebung eine wichtige Rolle spielen würde, schicke ich Patienten auch wieder zum Arzt, damit diese stattfinden kann. Selbst veranlassen kann ich diese (leider) nicht.

Laboruntersuchungen

Laboruntersuchungen von Blut, Urin oder auch Stuhl nutze ich bis jetzt noch nicht viel in der Behandlung, das wird sich im Laufe dieses Jahres aber noch ändern.

Auch hier macht es nur Sinn etwas zu messen, wenn es wirklich eine Relevanz hat und die Therapie beeinflussen würde. Es gibt unzählige Werte, die, vor allem im Blut, bestimmt werden können. Ohne eine vernünftige Anamnese wäre eine Diagnostik so sinnvoll wie eine Behandlung ohne Diagnose.

Behandlung

Nach den Ergebnissen der Untersuchung gelangt man zu einer mehr oder weniger sicheren Diagnose. Die Formulierung „mehr oder weniger“ klingt für Dich jetzt vermutlich erstmal ziemlich ernüchternd, denn Du hoffst ja auf eine klare Aussage aus der Diagnostik.

Gerade bei chronischen Schmerzen und den vielen möglichen Auslösern bzw. Schmerzverstärkern ist es aber zum Teil schwierig, wirklich ein absolut perfektes Bild der Problematik zu erlangen, vor allem in der ersten Behandlung. Aus diesem Grund zählt für mich die Behandlung auch ein Stück weit mit zur Diagnostik.

Denn die Diagnose, die man stellt, ist in vielen Fällen erstmal eine Verdachtsdiagnose. Ausnahmen bilden vor allem eindeutige Fälle, wie Knochenbrüche.

Durch die Wirkung der Behandlung lässt sich erst wirklich sagen, ob man mit der Verdachtsdiagnose auf dem richtigen Weg ist oder nicht. Das Ganze ist also ein fortlaufender Prozess und die einzelnen Schritte der Diagnostik finden auch immer wieder statt, um den Behandlungserfolg abzusichern.

Fazit

Eine Behandlung ohne Diagnose gibt es eigentlich nicht. Denn sobald eine Idee hinter einer Maßnahme steckt, lief zumindest mal eine Anamnese ab. Es gibt unterschiedliche spezifische Formen der Diagnostik, die immer Vor- und auch Nachteile hat.

Das Ziel ist immer eine möglichst genaue Diagnose zu stellen, ohne dabei in eine Überdiagnostik zu geraten und Baustellen aufzumachen, wo Du eigentlich keine hast. Leider bietet keine diagnostische Methode eine 100 %ige Genauigkeit, diese kann je nach Untersuchung mehr oder weniger stark variieren.

Wichtig ist deswegen vor allem auch die Erfahrung des Behandlers, die eine wichtige Rolle spielt, um zu entscheiden, welche Behandlung in welchen Fällen Sinn macht.

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