HWS Syndrom – ist das schlimm?
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich kein großer Freund von Syndromen als Diagnose bin? Auch wenn viele Patienten das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie mit einem Syndrom eine genaue Diagnose ihrer Probleme hätten, so ist das nicht der Fall. Das HWS Syndrom bildet hier keine Ausnahme. An sich ist das HWS Syndrom nämlich ein Sammelbegriff für verschiedener Diagnosen, die von der Halswirbelsäule ausgehen oder die Halswirbelsäule betreffen. In diesem Artikel kannst Du erfahren, was die „Diagnose“ HWS Syndrom eigentlich bedeutet, welche Symptome auftreten können und was das für die Behandlung bedeutet. Zudem erfährst Du, was mein Problem mit Syndromen ist und auch, warum ich diese und ähnliche Diagnosen trotzdem selbst häufig nutze. Was ist eine Diagnose? Das Wort Diagnose kommt vom griechischen Wort diágnosis, was auf Deutsch soviel heißt wie Unterscheidung oder Entscheidung. Sie stellt das Ergebnis der Feststellung einer Krankheit dar. (1,2) Die Diagnose bildet somit den Abschluss bzw. das Ergebnis der Untersuchung und führt uns zu einer entsprechenden Behandlung der Problematik. Je genauer die Diagnose gestellt werden kann, desto konkreter lässt sich auch eine Behandlung planen. (1,2) Wenn Du jetzt überlegst, wie schnell oft eine Diagnose gestellt wird, wenn Du beim Hausarzt oder auch Orthopäden bist, was denkst Du, wie genau kann diese Diagnose sein? Als kleine Zusatzinfo für diese Überlegung: Im Durchschnitt verbringen Patienten in Deutschland ca. 7,6 Minuten beim Allgemeinmediziner. (3) Überleg einfach mal kurz, was Du in 7 Minuten erledigen kannst. Denkst Du, es ist realistisch, Dir in dieser Zeit ein Problem schildern zu lassen, eine Untersuchung durchzuführen und dem Patienten zu erklären, was sein Problem ist und welche Behandlung dementsprechend die richtige ist? Ich persönlich halte das in vielen Fällen für sportlich und brauche deutlich länger. Selbst in den USA liegt die durchschnittliche Zeit beim Allgemeinmediziner übrigens bei 21,1 Minuten (3) und das obwohl (vielleicht auch gerade weil) dieses Gesundheitssystem oft als weniger sozial als unseres beschrieben wird. Was ist das HWS Syndrom? Das HWS Syndrom ist, wie viele Syndrome, eine Sammelbezeichnung für Beschwerden. In diesem Falle von Beschwerden, die die die Halswirbelsäule betreffen oder die von der Halswirbelsäule ausgehen. Hierbei kann es sich um orthopädische oder auch neurologische Symptome handeln. (4) Eigentlich ist es üblich, dass die Diagnose HWS Syndrom als Ausschlussdiagnose genutzt wird, wenn keine größeren Schäden, wie ein Bandscheibenvorfall oder andere konkrete Diagnosen vorliegen. Da es allerdings keine exakte Definition gibt, ist es per se eine schlau klingende Beschreibung von Beschwerden, die von der Halswirbelsäule ausgehen oder diese betreffen. In manchen Fällen kann es auch eine Verlegenheitsdiagnose sein, weil man nichts Konkretes gefunden hat, was die Beschwerden auslöst, die Ursache aber im Bereich der Halswirbelsäule zu liegen scheint. Was kann alles eine Ursache sein? Wenn wir uns mal auf DocCheck (ähnlich Wikipedia für den Medizinbereich) anschauen, welche Ursachen aufgeführt werden, für ein HWS Syndrom (4), dann finden wir hier eigentlich fast alles von harmlosen bis hin zu zeitnah behandlungsbedürftigen Gründen. Kursiv geschrieben findest Du meine Ergänzungen: Degenerative Veränderungen der HWS (Spondylose, Osteophyten) Schleudertrauma (HWS-Distorsion) Funktionelle Verspannung der Nackenmuskulatur Zervikaler Bandscheibenvorfall (selten) Tumoren Wirbelsäulenoperationen Facettensyndrom (ausgelöst durch die kleinen seitlichen Gelenke der Wirbelsäule) Segmentale Dysfunktionen („Blockierung“) Osteochondrose (diverse Verschleißerscheinungen) Ich persönlich würde aber auch Gründe wie Stress hier mit aufnehmen. Denn gerade bei Stress kommt es zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung und vermehrten Verspannungen im Nackenbereich. Auch Unfälle oder Überlastung können eine Rolle spielen. Welche Symptome können beim HWS Syndrom auftreten? Auch hier haben wir eine riesige Palette, wenn wir uns das ganze auf DocCheck anschauen (4): Hals- bzw. Nackenschmerzen, häufig mit Ausstrahlung in den Arm Myogelosen (Verspannungen in der Muskulatur) Schwindel Kopfschmerzen Parästhesien, Hypästhesien (Kribbeln, Taubheitsgefühl) Sehstörungen Ohrgeräusche Allerdings verwundert das auch nicht sonderlich, denn es handelt sich wie schon beschrieben um einen Sammelbegriff für alles, was von der Halswirbelsäule an Beschwerden ausgehen kann. In den meisten Fällen sind meiner Erfahrung nach aber Hals- bzw. Nackenbeschwerden das vorliegende Problem. Theoretisch würde sich diese Liste übrigens noch erweitern lassen, da die meisten Nerven vom Gehirn ausgehend durch den Spinalkanal der Wirbelsäule ziehen. So ist es möglich, dass auch Probleme im Bereich der Halswirbelsäule die Ursache für weiter unten auftretende Probleme darstellen können. Das kommt allerdings eher selten vor und spätestens in solchen Fällen würde man das ganze auch meistens nicht mehr als HWS Syndrom diagnostizieren. Um es mal kurz ganz extrem zu machen, ein Genickbruch und die daraus resultierenden Folgen könnte man auch als HWS Syndrom bezeichnen. Denkst Du aber, dass das jemand machen würde? Wie wird das HWS Syndrom behandelt? Die Frage lässt sich an dieser Stelle nicht pauschal beantworten, denn es kommt immer auf die genaue Ursache an. Ist ein Schleudertrauma und eine daraus entstehende Abschwächung der Muskulatur Auslöser eines Schwindels? Dann sollte hauptsächlich die entsprechende Muskulatur gekräftigt werden. Ist Stress der primäre Auslöser für Schmerzen und Verspannungen? Dann solltest Du an Deinem Stresslevel arbeiten. Ein Bandscheibenvorfall sollte wiederum anders behandelt werden, als eine Irritation des Nerven durch Veränderungen im Bereich der Fazettengelenke oder auch Symptome die nach einem Karpaltunnelsyndroms aussehen, aber durch etwas anderes im Bereich der Halswirbelsäule verursacht werden. Für die Schmerzen und Verspannungen können erfahrungsgemäß manualtherapeutische oder osteopathische Techniken einen Ansatz darstellen und die Beschwerden lindern. Für Nervenbeschwerden können häufig auch Nervenmobilisationen, sogenannte Slider hilfreich sein. Dies sollte aber immer mit dem Behandler abgesprochen werden. Du siehst, die Behandlung des HWS Syndroms ist vor allem abhängig von Deinen konkreten Beschwerden. Da es sich meistens um eher harmlose Ursachen handelt, lassen diese sich auch meistens gut behandeln. Welche Probleme können durch solche Diagnosen entstehen? Wenn das jetzt aber nur ein schwammiger Begriff ist, der mehr oder weniger eine Ausschlussdiagnose darstellt, wieso habe ich dann ein Problem damit? Wenn Du nach dem ICD Code, der auch für das HWS Syndrom verwendet wird, suchst (M54.2) dann wirst Du unter anderem auf Seiten landen, wie gesund.bund.de (eine Seite des Bundesministeriums für Gesundheit), die unter diesem Code nur die Zervikalneuralgie aufführen. Bei der Zervikalneuralgie entstehen die Beschwerden über eine Reizung der Nerven. Sobald Patienten hören, dass es um Nerven und mögliche Schädigungen geht, wird das Alarmsystem meist hochgefahren und die Schmerzsensibilität steigt. Das Resultat kann dann eine Steigerung der Schmerzen sein. Hierzu gibt es
Kreuzheben – die wichtigste Übung für Deinen Rücken
Normalerweise wirst Du von mir nicht hören, dass eine Übung wichtiger ist, als andere, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es gibt allerdings eine einzige Ausnahme und das ist das Kreuzheben. Eine Übung, die vielen Menschen Respekt einflößt und gerade bei „Rückenpatienten“ und auch einigen Behandlern Ängste hervorruft. Doch diese Befürchtungen sind mit der richtigen Herangehensweise unbegründet und können sogar den Behandlungserfolg schmälern. Denn vor einer Sache haben die meisten „Rückenpatienten“ Angst und das ist (schweres) Heben. Was denkst Du, sollte also ein Trainingselement sein? Richtig, (schweres) Heben und die Übung, die uns das am besten ermöglicht ist, Kreuzheben. Und auch wenn Du keine Schmerzen hast, ist Kreuzheben die Übung, die ich jedem empfehlen würde, um einen starken und belastbaren Rücken zu erhalten. Rückenschmerzen Rückenschmerzen sind ein weit verbreitetes Krankheitsbild, was auch zu vielen Krankschreibungen führt. Die Ursachen sind vielfältig und sollten immer auch gezielt angegangen werden. Die von vielen Patienten gefürchtetste Ursache sind Bandscheibenvorfälle, es können aber auch viele andere Strukturen für die Schmerzen verantwortlich sein. Warum Training bei Schmerzen wichtig ist Es gibt viele Gründe, warum es wichtig ist, dass betroffene Strukturen im Verlaufe der Heilung wieder belastet werden. Einer davon ist, dass eine Steigerung der Belastbarkeit abhängig von der Belastung ist. Da ich dem Thema bereits einen eigenen Artikel gewidmet habe, an dieser Stelle die Kurzfassung. Der Körper passt sich an nahezu alle Anforderungen, die an ihn gestellt werden, an, solange die Dosis stimmt und er genug Zeit für die Anpassung erhält. Die Ursachen für Schmerzen sind vielfältig, was aber vor allem bei chronischen Schmerzen irgendwann passiert ist, dass die Belastbarkeit der Strukturen nachlässt. Betroffene Muskeln verlieren zum Beispiel Kraft, da sie seltener genutzt werden und bestimmte Bewegungen werden schwieriger, da Du sie vermeidest und evtl. mit Schmerzen verknüpfst. Es wird also schwierig, beim Kreuzheben von jetzt auf gleich über 100 kg zu heben. Im Laufe der Zeit aber ein Ziel, dass sich leichter erreichen lässt, als viele denken würden. Kreuzheben Kreuzheben ist im Grunde eine simple Übung: Du hebst ein Gewicht vom Boden liegend hoch und führst es wieder runter. Zack, die erste Wiederholung ist erledigt. Daher auch der englische Name der Übung: Deadlift, ein Heben (Lift) von einem toten Punkt aus. Wenn es um das Ziel geht, möglichst hohe Gewichte zu heben und das auch im Wettkampf, kann es definitiv komplexer werden. Für die Anwendung im therapeutischen Setting muss es allerdings nicht so viel komplexer werden. Technik Wie angedeutet gibt es nicht die eine perfekte Technik. Allerdings gibt es ein paar Punkte, die Dir helfen können, effektiver zu heben. Diese lassen sich bis zu einem gewissen Grad auch auf das Heben im Allgemeinen übertragen. Im Folgenden wollen wir uns anschauen, wie eine Wiederholung des klassischen Kreuzhebens mit der Langhantel abläuft. Schuhe Beim Kreuzheben vielleicht nicht ganz so relevant wie bei der Kniebeuge, aber bei Freihantelübungen würde ich persönlich auf Laufschuhe verzichten. Die Dämpfung sorgt leider für einen instabilen Stand und somit für ein höheres Verletzungsrisiko. Zudem verpufft auch ein Teil Deiner Kraft in der Dämpfung, was auch schade und unnötig ist. Es gibt spezielle Schuhe fürs Krafttraining, speziell auch für diese Form von Übungen bzw. Gewichtheber, barfuß oder mit Schuhen, die lediglich eine dünne Sohle haben, klappt es aber genauso. Persönlich nutze ich eine Art Sockenschuhe, die Du auch auf den Bildern bzw. im Video siehst. Der Vorteil ist, dass ich damit auf dem Boden einen guten Halt habe und nicht so schnell wegrutschen kann. Startposition In der Startposition befindet sich der Mittelfuß unter der Stange (Bild 1). Die Arme sind gestreckt und stehen senkrecht zum Boden, sodass die Hantelstange unter den Schultern liegt (Bild 2). Der Rücken befindet sich in seiner „natürlich geraden“ Position (Bild 3). An diesen Punkten sollte sich während des gesamten Hebevorgangs auch nichts ändern. Bild 1 Bild 2 Bild 3 Das Heben Der Impuls kommt aus den Beinen, indem die Knie gestreckt werden. An der Position des Oberkörpers verändert sich im ersten Teil der Bewegung nichts, dieser wird zunächst parallel verschoben. Erst wenn die Hantel die Knie passiert, wird die Hüfte aktiv in die Streckung gebracht und der Oberkörper beginnt sich aufzurichten. Das Ende der Bewegung ist erreicht, wenn Du im geraden Stand ankommst und Hüfte und Knie gestreckt sind. Ablegen Das Ablegen läuft mehr oder weniger genau so ab, wie das Heben. Zunächst beugst Du die Hüfte und wenn die Hantel ungefähr auf Kniehöhe ist, beginnst Du die Knie zu beugen, bis das Gewicht wieder am Boden ankommt. Das Ablegen darf auch deutlich schneller ablaufen, als der Lift an sich. Variationen Es gibt etliche Variationen des Kreuzhebens, wobei die meisten im Therapiesetting nicht unbedingt benötigt werden. Die beiden Varianten, die in meinen Augen im Therapiesetting am ehesten eine gute Option darstellen, sind das rumänische Kreuzheben und Jefferson Curls. Rumänisches Kreuzheben Das rumänische Kreuzheben unterscheidet sich vom klassischen Deadlift nur in sehr wenigen Punkten: Das Gewicht wird nicht abgelegt und die Abwärtsbewegung ist deutlich langsamer als beim klassischen Kreuzheben. Der restliche Bewegungsablauf bleibt an sich gleich. Manchen Menschen fallen sogenannte zyklische Bewegungen einfach leichter, sodass es in diesem Fall einen einfacheren Einstieg darstellt. Zudem brauchst Du keine spezielle Unterlage unter der Hantel und Du wirst Nachbarn weniger mit lauten, fallenden Gewichten stören. Jefferson Curls Bei Jefferson Curls machst Du quasi das, was Du beim klassischen Kreuzheben versuchst zu vermeiden. Du hebst rein aus dem Rücken und rundest diesen dazu ein. Gerade nach einem akuten Bandscheibenvorfall würde ich mit dieser Form nicht zu früh einsteigen. Im weiteren Heilungsverlauf macht es aber durchaus Sinn, auch diese Form zwischendurch einzubauen. Nicht unbedingt immer mit dem Ziel ein maximales Gewicht zu erreichen, bei manchen Patienten ist das Ziel auch einfach, diese Bewegung wieder zuzulassen und Vertrauen in den Körper zu stärken. In der Arbeit mit Patienten bin ich mit den Gewichten bei Jefferson Curls meist bei unter 50 kg geblieben. Von der Technik ist die Idee, dass Du aus dem Stand Wirbel für Wirbel einrollst in die Beugung und Dich dann Wirbel für Wirbel wieder aufrollst in den geraden Stand. Mit geringem Gewicht ist
Ist es wirklich der Ischiasnerv?
Der untere Rücken oder vielleicht auch der Gesäßbereich schmerzen? Wenn Du schon einige Artikel von mir gelesen hast, dann wirst Du vielleicht nicht ganz so schnell die Hypothese „Ischias“ in den Raum werfen. Vielen Patienten geht es aber noch anders und sie werden diese Eigendiagnose schnell stellen, was leider oft genug zu Nocebos führt. Egal, ob Du schon etwas fortgeschrittener bist in Deinem medizinischen Wissen oder nicht, nach diesem Artikel, wirst Du über den Ischias und auch Deinen Rücken genauer Bescheid wissen. Anatomie Der Ischiasnerv (auf schlau: Nervus ischiadicus) beginnt im Bereich des unteren Rückens (4. Lendenwirbel bis 3. Sakralwirbel). Er ist der größte Nerv im menschlichen Körper und enthält sowohl sensible als auch motorische Fasern. Die Nervenwurzeln vereinigen sich aus dem Plexus sacralis und ziehen unterhalb der Gesäßmuskulatur weiter in Richtung Kniekehle. Im Bereich des Oberschenkels verläuft er unter dem M. biceps femoris (der außen liegende Teil der ischiocruralen Muskulatur). Oberhalb des Kniegelenks teilt er sich in die beiden Äste (Nervus tibialis und den Nervus fibularis (peroneus) communis) auf. Wo diese Trennung exakt stattfindet, ist sehr unterschiedlich, teils findet diese bereits auf Höhe der Gesäßmuskulatur statt. In der Fachliteratur findet man auch Verweise darauf, dass der Ischiasnerv eigentlich kein eigenständiger Nerv sei, sondern lediglich eine bindegewebige Zusammenlagerung der getrennten Faseranteile, quasi wie ein Kabelkanal. Die beiden Anteile versorgen im weiteren Verlauf den Unterschenkel motorisch (komplett) und auch größtenteils sensibel (bis auf das Areal des N. saphenus). Funktion des Ischiasnervs Wie schon beschrieben, ist der Ischiasnerv von seiner Funktion ein gemischter Nerv, das heißt, er hat sowohl sensible als auch motorische Fasern. Motorisch steuert er die Funktion folgender Muskeln: M. adductor magnus (Adduktor, unterstützt Innenrotation bzw. Streckung jeweils der Hüfte) Mm. ischiocrurales (Beuger des Kniegelenks, größtenteils auch Strecker der Hüfte) M. semitendinosus (zusätzlich Innenrotation des Kniegelenks) M. semimembranosus (zusätzlich Innenrotation des Kniegelenks) M. biceps femoris (zusätzlich Außenrotation des Kniegelenks, der kurze Anteil streckt nicht die Hüfte) Sensibel versorgt der Ischiasnerv den Rückseiten Oberschenkel und fast den gesamten Unterschenkel, bis auf einen Streifen am medialen (zur Körpermitte hin) Bereich des Unterschenkels. Mögliche Beschwerden Es gibt zwei Richtungen, über die sich Nervenproblemen zeigen können: Motorische Probleme (Kraftverlust) Sensible Beschwerden (Parästhesien, Schmerzen, Taubheit, Verlust der Beweglichkeit) Je nachdem, welcher Anteil eines Nervs betroffen ist, tritt entweder nur ein Teil oder auch beide auf. Motorische Beschwerden sind meiner Erfahrung nach zum Glück deutlich seltener, als sensible Beschwerden. Starke motorische Ausfälle sind dann auch meist einer der wenigen Gründe, die für eine zeitnahe Operation sprechen. Oft überwiegen sensible Störungen, wie Taubheit, Parästhesien (Missempfindungen) oder auch Schmerzen. Schmerzen im Bereich des Rückens treten übrigens seltener bzw. stärker auf, als Schmerzen im Bereich des unteren Rückens. (4) Je nach Auslöser können Husten, Niesen bzw. tiefes Atmen die Schmerzen verstärken. Manchmal kann es bei Problemen im Bereich des Ischiasnervs auch dazu kommen, dass die Beweglichkeit im Bereich des Beines nachlässt. Es kann dann so wirken, als ob die ischiocrurale Muskulatur (Oberschenkelrückseite) „verkürzt“ wäre. Differenzieren lässt sich das zum Beispiel im Rahmen des „Straight Leg Raise“ (SLR) Tests (6) oder aber im Rahmen des Slump-Tests (Bild 1 und Bild 2). Diese Unterscheidung ist wichtig, um die passende Behandlung finden zu können. Bild 2 (Slump-Test) Auslöser der Beschwerden Auch hier gibt es viele Möglichkeiten. Die häufigsten (4) sind: Bandscheibenvorfälle Stenosen (meist altersbedingte Verengungen der Wirbelsäule) Zysten Eine weitere Möglichkeit sind Verletzungen zum Beispiel der ischiocruralen Muskulatur, Hüftgelenks-OPs, oder zu verspannte Muskeln (v.a. im Bereich der Gesäßmuskulatur, z.B. im Rahmen des sogenannten Piriformis-Syndroms). Wichtig ist es im Rahmen der Untersuchung festzustellen, welcher Auslöser vorliegt, um die Behandlung möglichst effizient zu gestalten. Therapie Gerade wenn Du hörst, dass auch strukturelle Veränderungen zu Ischiasbeschwerden führen können, wirst Du vermutlich sehr schnell an eine OP denken, oder? Diese kann tatsächlich zum Teil schneller eine Schmerzlinderung herbeiführen (6-26%), aber nach einem Jahr sind die Ergebnisse nahezu gleich. Aus diesem Grund wird meist empfohlen, zunächst 12 Wochen konservativ zu behandeln, bevor man überhaupt an eine OP denkt. Ausnahmen sind hier stärkere Symptome, wie Hinweise auf ein Cauda Equina Syndrom (Verlust der Blasen-/ Mastdarm-Funktion) oder rasche Zunahme einer Lähmung bzw. Unfähigkeit den betroffenen Körperteil gegen die Schwerkraft zu bewegen. (4) Im Bereich der konservativen Behandlung kommt es ein Stück weit darauf an, was ursächlich ist. Zunächst gilt aber, wie immer die Grundregel „Calm shit down, build shit up“. Weitere Informationen kannst Du auch im Artikel „Was tun bei Sportverletzungen?“ finden. Wichtig ist hier vor allem der zweite Teil der Regel. Sinn macht es, ergänzend gezielte Übungen zur Kräftigung oder Nervenmobilisation (siehe nebenstehendes Video) durchzuführen. https://youtu.be/1erJjVtv4OQ Manuelle Therapie oder auch Osteopathie können zusätzlich oft bei der Linderung der Beschwerden helfen. Die Nutzung von Schmerzmedikamenten ist eine sehr individuelle Entscheidung. In Leitlinien gibt es hierzu keine klare Empfehlung. Persönlich würde ich darauf verzichten, es sei denn, ich könnte vor Schmerzen nicht mehr schlafen. Das ist aber ganz klar meine persönliche Meinung! Kortisoninjektionen, an die betroffene Nervenwurzel können manchmal zu einer ersten Linderung führen, sind aber, ähnlich wie Schmerzmittel im allgemeinen, eine sehr persönliche Entscheidung. Prognose Die Prognose bei Ischiasbeschwerden (Ischialgien) ist übrigens günstig. Nach einem Zeitraum von 12 Wochen berichten 50 % der Patienten über eine deutliche Besserung, nach 12 Monaten über 70 %. (4) Wichtig ist auch zu sagen, dass auch alleine eine negative Überzeugung des Patienten (Nocebo) mit einer schlechteren Prognose im Zusammenhang stehen. Fazit Wie Du hoffentlich mitnehmen kannst, sind Ischiasbeschwerden zwar häufig schmerzhaft, aber ein Problem, was meist wieder vergeht. Wichtig ist, zum einen dieses Wissen, aber auch, die Behandlung an Deine Beschwerden optimal anzupassen. Schmerz hat viele Fazetten und auch Gründe. Je genauer eine Therapie an Dich angepasst ist, desto schneller kannst Du Deine Schmerzen wieder loswerden. Und ich hoffe, dass Du auch mitnehmen konntest, dass Rückenschmerzen größtenteils nicht mit dem Ischiasnerv in Zusammenhang stehen. https://youtu.be/Lpnhu1qAIQc Zum Podcast Quellen (1) Schünke, M., Schulte, E., Schumacher, U., Voll, M.,, Wesker, K. (2007). Prometheus, LernAtlas der Anatomie, Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Stuttgart: Thieme. (2) https://flexikon.doccheck.com/de/Nervus_ischiadicus (3) https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0034-60790 (4) https://www.physiomeetsscience.net/was-patienten-und-therapeuten-ueber-eine-ischialgie-wissen-sollten/ (5) https://www.physiomeetsscience.net/chirurgische-versus-nicht-chirurgische-behandlung-von-ischiasbeschwerden/ (6) https://www.physiomeetsscience.net/ischias-oder-ischios-differenzierung-von-n-ischiadicus-und-hamstrings-beim-slr/ Etienne RiesWie Du vielleicht schon mitbekommen hast, ist mein Name
Was ist eigentlich dieses Karpaltunnelsyndrom?
Taube Finger? Spätestens wenn Du googelst, wirst Du früher oder später auf das Karpaltunnelsyndrom treffen. Aber was genau ist eigentlich dieser Karpaltunnel und können die Beschwerden vielleicht sogar woanders herkommen? Wie immer schauen wir uns das Ganze Schritt für Schritt an. Du kannst aber gerne auch direkt zur Therapie oder den entsprechenden Übungen springen, wenn Du nicht warten möchtest. Anatomie Der Karpaltunnel wird von den Handwurzelknochen im Bereich des Handgelenks gebildet und von einem dicken Band (Retinaculum flexorum) nach oben hin abgeschlossen. In diesem verlaufen zum einen fast alle Sehnen der finger- und handgelenksbeugenden Muskulatur (bis auf die des M. flexor carpi ulnaris und den M. palmaris longus). Zum anderen verläuft in diesem auch der Nervus Medianus (der beim Karpaltunnelsyndrom Beschwerden macht). Die ungefähre Lage des Karpaltunnels kannst Du blau-markiert auf Bild 1 erkennen. Bild 1 Nervus medianus Der Nervus medianus entspringt aus dem Bereich der unteren Halswirbelsäule (Segmente C6-Th1). Um präzise zu bleiben, entspringt er aus dem Plexus (Nervengeflecht) brachialis. Er hat sowohl sensible als auch motorische Fasern. Wird er in seinem Verlauf zu stark komprimiert, kann es also sowohl zu Missempfindungen (Parästhesien) als auch Nachlassen oder Ausfällen der Kraft kommen. Das typische Bild, was sich aufgrund der mangelnden Kraft der Muskulatur zeigt, ist die sogenannte „Schwurhand“ (Bild 2). Beim Versuch, die Finger zur Faust zu ballen, gelingt dies nur beim kleinen Finger und dem Ringfinger. Ein weiteres Zeichen ist das sogenannte „Flaschenzeichen“. Hierbei gelingt es nicht mehr eine Flasche vollständig umschließen, da der Daumen nicht mehr abgespreizt (abduziert) werden kann. Es kann zudem zu einem Sensibilitätsverlust oder Parästhesien auf der Seite der Handfläche, im Bereich der Innenseite des Daumens bis zur daumenseitigen Hälfte des Ringfingers kommen, diese können sich in Verlängerung bis ca. zum Handgelenk bemerkbar machen (Bild 3). Auf der Handrückseite können die Endglieder des Zeige-, Mittel- und daumenseitigen Ringfingers betroffen sein (Bild 4). Bild 2 Bild 3 Bild 4 Es gibt vielfältige Ursachen, warum dieser Nerv Probleme machen kann. Oftmals sind es auch mehrere Stellen, an denen der Nerv entweder mechanischen Druck abbekommt oder es kann auch zu einer allgemeinen Übersensibilität des Nervens kommen, sowie einer verminderten Gleitfähigkeit. Ein typisches Beschwerdebild, durch das es zu einer Problematik unter anderem im Bereich des N. medianus kommen kann, ist das sogenannte Thoracic-Outlet-Syndrom, was unter anderem Kompressionssyndrome des Plexus brachialis zusammenfasst. Typische Syndrome, die dazu führen können, sind: Skalenussyndrom (Kompression im Bereich der Skalenuslücke. Hierunter versteht man die Lücke zwischen dem vorderen und mittleren Anteil der Mm. scalenii), kann mit dem Kostoklavikularsyndrom einhergehen Kostoklavikularsyndrom (Engstelle zwischen den oberen beiden Rippen (costae) und dem Schlüsselbein (clavicula)), kann mit dem Skalenussyndrom einhergehen Pectoralis-Minor-Syndrom (Engstelle des Plexus brachialis im Bereich des kleinen Brustmuskels (M. pectoralis minor)) Es kann auch durch Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule oder Bandscheibenvorfälle zu einer Kompression der Nerven kommen. Hierbei zeigen sich allerdings oft etwas andere Parästhesien oder Kraftverluste. Speziell der N. medianus kann auch durch folgende Problematiken im Speziellen beeinflusst werden: Frakturen (Brüche) oder auch Luxationen („Auskugeln“) im Bereich des Ellbogens Pronator-teres-Syndrom (Enge im Bereich des M. pronator teres, ein Muskel, der für die Einwärtsdrehung (Pronation) des Unterarms zuständig ist) Karpaltunnelsyndrom (das schauen wir uns weiter unten genauer an) Exkurs Gleitfähigkeit Nerven Nerven sind weniger dehnbar, als Muskeln. Wichtig ist für eine störungsfreie Funktion, dass sie gleitfähig sind. Stell Dir das am besten so ähnlich vor, wie das Bremsseil am Fahrrad, was ja auch durch eine Hülle durchgezogen wird und bei Betätigung der Bremse innerhalb dieser Hülle vor- und zurückgleitet. Karpaltunnelsyndrom Ursachen Beim Karpaltunnelsyndrom kann es durch verschiedene Gründe zu einer Enge im Bereich des Karpaltunnels kommen. Ein hohes Risiko haben beispielsweise Diabetiker (84 %). Beim Rest der Bevölkerung ist das Risiko überschaubarer (10 %) im Verlaufe des Lebens an diesem Beschwerdebild zu leiden. Weitere allgemeine Risikofaktoren sind ein erhöhter BMI, berufliche Faktoren und die Genetik. Es gibt aber auch weitere Gründe, durch die es zu einem Karpaltunnelsyndrom kommen kann. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass die Gleitfähigkeit des N. medianus im Bereich des Karpaltunnels eingeschränkt ist. Zudem kann es durch die Sehnen im Karpaltunnel auch zu einer Kompression des Nerven kommen, ebenso wie durch Veränderungen des Retinaculum Flexorum. Blockaden im Bereich der Handwurzelknochen oder auch Stürze auf die Hand könnten ebenso zu einer Enge im Bereich des Karpaltunnels führen. Durch das Karpaltunnelsyndrom kann es übrigens nicht zum Phänomen der „Schwurhand“ kommen. Die oben beschrieben Parästhesien im Bereich der Hand können aber, ebenso wie das „Flaschenzeichen“ auftreten. Behandlung Für die Behandlung des Karpaltunnelsyndroms gibt es mehrere Optionen. Eine Option stellt manuelle Therapie oder auch Osteopathie dar. In einer spanischen Studie konnte gezeigt werden, dass die manuelle Therapie einer OP vom Ergebnis nicht nachsteht, allerdings deutlich kostengünstiger ist. (3) Was ich persönlich gerne Patienten mit Karpaltunnelsyndrom als „Hausaufgabe“ mitgebe, sind Übungen zur Verbesserung der Nervenmobilisation, sogenannte Slider. Diese würde übrigens auch in der obigen Studie Patienten als Aufgabe mitgegeben. Den Slider für den N. medianus kannst Du im nebenstehenden Video finden und gerne nachmachen. Das Ziel dieser Übung ist vor allem am Anfang, den irritierten Nerv zu beruhigen. Das heißt, es macht Sinn, dass wenn Du mit dieser Übung startest, Du währenddessen erstmal nichts spürst. Keine Dehnung, kein Kribbeln … Stell Dir vor, Du würdest sanft ein Baby in den Schlaf wiegen. Schienen für den Schlaf, die das Handgelenk gerade halten, können eine ergänzende Option sein, wenn die Beschwerden auch den Schlaf beeinträchtigen. Da in der neutralen Stellung des Handgelenks der Druck auf den N. medianus im Karpaltunnel am geringsten ist, können sie sich zur nächtlichen Entlastung eignen. Wie immer gilt, versuch die Aktivitäten, die Deine Beschwerden verstärken, zu vermeiden, das gilt bei Nervenbeschwerden nochmal mehr als bei muskulären Beschwerden. Kortisoninjektionen können, wenn die vorherigen Maßnahmen nicht greifen, eine weitere Möglichkeit darstellen, um den Nerv zu entlasten. Die Ultima Ratio wäre dann eine OP, bei der das Retinaculum Flexorum durchtrennt wird. Wichtig zu wissen ist, dass die konservativen Behandlungsansätze durchaus eine gewisse Zeit brauchen, bis sie richtig greifen. Sollte aber auch nach einer gewissen Zeit (die leider auch abhängig von Deiner bisherigen Beschwerdedauer ist) keine Besserung eintreten, dann