Vielleicht kennst Du auch folgenden Witz: „Herr Doktor, wenn ich hier drücke, tut’s weh. Wenn ich hier drücke, tut’s weh und wenn ich hier drücke, tut’s auch weh. Was habe ich denn?“ Antwort des Arztes: „Ihr Finger ist gebrochen.“

Wenn Diagnostik von Schmerzen so einfach wäre, wären glaube ich, viele medizinischen Professionen schnell arbeitslos. Schmerz, vor allem chronischer Schmerz, ist häufig deutlich komplexer. Im heutigen Blogartikel möchte ich Dich auf einen kleinen Exkurs nehmen, was Schmerzen sind und welche Einflussfaktoren es gibt.

Definition der International Association for the Study of Pain (IASP)

Schmerz wird laut IASP definiert, als eine unangenehme, sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschäden einhergeht.

Schmerz entsteht also als eine Art Mischung zwischen der sensorischen Information der Schmerzrezeptoren (Nozizeption), wie beispielsweise brennend, stechend, bohrend und der emotionalen Einordnung wie quälend oder erschöpfend. Diese beiden Anteile sind untrennbar miteinander verbunden.

Zudem geht er einher mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung, er erfüllt also eine Warnfunktion und ist aus diesem Grund überlebenswichtig.

Die IASP benennt 6 weitere Punkte zur Definition von Schmerz und Schmerzerleben

  • Schmerz ist immer eine persönliche Erfahrung, die zu unterschiedlichem Grad beeinflusst wird, von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren
  • Schmerz und Nozizeption (Wahrnehmung eines Schmerzreizes) sind unterschiedliche Phänomene. Schmerz kann nicht ausschließlich durch die Aktivität der Sinnesrezeptoren erklärt werden.
  • Die Lebenserfahrung beeinflusst das individuelle Konzept des Schmerzes.
  • Die geschilderte Wahrnehmung einer Person von Schmerzen sollte respektiert werden.
  • Obwohl Schmerz eine wichtige Rolle spielt, kann er sich negativ auf die Funktion und das soziale, als auch psychische Wohlbefinden auswirken.

Vor allem der dritte Punkt veranschaulicht sehr schön das bio-psycho-soziale Schmerzmodell, von dem häufig Gebrauch gemacht wird, um Schmerzen zu erklären. Hier geht man davon aus, dass die Schmerzintensität nicht nur von der Intensität des Nervensignals abhängt, sondern ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren ist.

Schmerzweiterleitung

Eine sehr einfache Beschreibung der Weiterleitung von Schmerz findet sich auf der Seite der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Da ich diese für sehr gut verständlich halte, nachstehend im Zitat:

„Die Schmerzforschung zeigt, dass ein schmerzhafter Reiz, zum Beispiel durch eine Verletzung der Hand, zur Entstehung elektrischer Impulse führt, die über besondere Nervenfasern, ähnlich einem Stromkabel, den Arm entlang zum Rückenmark weitergeleitet werden. Dort werden die Impulse an eine weitere auf die Wahrnehmung von Schmerz spezialisierte Nervenzelle weitergereicht. Über eine weitere Schaltstelle oberhalb des Hirnstamms werden die Schmerzsignale schließlich an verschiedene Gehirnzentren weitergeleitet, die für eine verteilte Wahrnehmung dieses Sinnes- und Gefühlserlebnisses verantwortlich sind. Dies bedeutet, dass es im Gehirn kein einzelnes Schmerzzentrum gibt. Die Wahrnehmung von Schmerzen mit allen Sinnes- und Gefühlsanteilen entsteht letztlich als Antwort einer vernetzten Aktivierung verschiedener Schmerzzentren des Gehirns.“  (https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz/was-ist-schmerz ; Zugriff am 28.09.2022)

Schmerzdämpfung

Es gibt Menschen, die von Geburt an keine Schmerzwahrnehmung besitzen. Da das wichtige Warnsignal Schmerz fehlt, sind Verletzungen, auch schwerwiegende, absolut nicht selten.

Ein weiteres Phänomen, dass Du vermutlich auch kennen wirst, sind Fakire, die sich scheinbar jegliche Schmerzwahrnehmung abtrainiert haben oder auch Shaolin-Mönche, die bei manchen Vorführungen Kunststücke vollbringen, die bei normalen Menschen mit Verletzungen bis hin zu Brüchen einhergehen würden. Durch Training, eine entsprechende Erziehung und Konzentration ist es diesen Menschen möglich, Schmerz weitestgehend auszublenden.

Ein weiteres Beispiel ist Leistungssport. Sehen wir uns einmal kurz den Turner Andreas Toba an. Dieser zog sich bei der Olympiade in Rio 2016 einen Kreuzbandriss zu und absolvierte dennoch seine Übung am Pferd. Hierdurch sicherte er der deutschen Mannschaft den Einzug ins Finale. Wie gesundheitlich wertvoll das Ganze ist, ist ein anderes Thema. Dennoch ist auch hier gut erkennbar, wie Schmerzen ausgeblendet werden können.

Auch in unmittelbaren Kampf- oder Fluchtsituationen, vor allem wenn es ums Überleben geht, wird der Großteil der Schmerzen ausgeblendet. Der Körper funktioniert einfach.

Ein weiteres Beispiel, um in dieser Reihe mit etwas Positivem abzuschließen, ist der Geburtsvorgang. Die Schmerzdämpfung des Körpers, durch die körpereigene Apotheke ist phänomenal, wenn auch zugegebenermaßen nicht immer komplett ausreichend.

Gesteigerte Schmerzwahrnehmung

Was sind jetzt aber im Gegenteil Situationen, in denen Schmerzen intensiver wahrgenommen werden.

Nun, entfernen wir uns mal nicht zu weit vom letzten Beispiel. Wenn ein kleines Kind hinfällt und die Eltern relativ ruhig und entspannt bleiben, ist der wahrgenommene Schmerz und die Reaktion des Kindes meist weitaus weniger drastisch. Können die Eltern allerdings selbst diese Ruhe nicht beibehalten, ist auch die Reaktion des Kindes größtenteils deutlich stärker.

Beginnst Du nach einer längeren Verletzungspause wieder mit Bewegungen, die das betroffene Gewebe belasten, so kommt es häufiger dazu, dass vor allem die ersten Wiederholungen schmerzhaft sein können. Dies liegt unter anderem daran, dass Du deutlich sensibler auf die Reaktionen Deines Körpers hörst.

Ähnlich ist es, wenn Du Deinem Körper aufgrund von Schmerzen eine Sportpause gönnst, bei der Wiederaufnahme des Sports kann es häufig zu einem ähnlichen Phänomen kommen.

Ohne die Schmerzwahrnehmung herunterspielen zu wollen, Du kannst Dich in diesem Moment ein bisschen mit der Prinzessin auf der Erbse vergleichen. Ein Belastungsreiz, der normalerweise keinen Schmerz auslösen sollte, da es nicht zu einer Schädigung des Gewebes kommt, reicht aus, dass Dein Körper denkt, es könne zu einer Schädigung kommen.

Unspezifischer Rückenschmerz

Kreuzschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden in Deutschland. Die deutsche Rückenschmerzstudie 2003/2006 ergab, dass bis zu 85 % der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben Kreuzschmerzen bekommen. Unter unspezifischen Kreuzschmerzen versteht man Schmerzen, die nicht durch spezifische körperliche Faktoren ausgelöst werden. Die Unterscheidung ist in der Praxis häufig nicht sehr einfach.

In einer Metaanalyse konnten Tagliaferri et al 2021 zeigen, dass bei unspezifischem Rückenschmerz psychosoziale Faktoren, wie beispielsweise Depressionen, den größten Einfluss auf diese Form der Rückenschmerzen hatten. Gefolgt von strukturellen Gewebeveränderungen (z.B. Degeneration der Bandscheiben) und Markern zur Funktion des ZNS an dritter Stelle.

Wenn wir uns jetzt das Ergebnis der Studie ansehen und feststellen, dass strukturelle Gewebeveränderungen nicht den größten Einfluss auf Schmerzen haben, verdeutlicht dies leider die Schwierigkeit in der Unterscheidung zwischen spezifischem und unspezifischem Rückenschmerz.

Auch die Nationale Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ geht auf diese Problematik ein. Unter dem Punkt Diagnostik findet sich beispielsweise folgendes:

„Finden sich bei Patienten mit Kreuzschmerzen durch Anamnese und körperliche Untersuchung beim Erstkontakt keine Hinweise auf gefährliche Verläufe oder andere ernstzunehmende Pathologie, sollen vorerst keine weiteren diagnostischen Maßnahmen durchgeführt werden.“ (Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Kurzfassung, 2. Auflage. Version 1. 2017 [cited: 2022-09-27]. DOI: 10.6101/AZQ/000377. www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de)

Gerne kannst Du Dir auch mal mein Lieblingsbild aus dem MRT einer schmerzfreien Patientin anschauen. Wenn Du Schwierigkeiten hast, zu erkennen, wo der potenzielle Gewebeschaden bzw. Schmerzauslöser ist, schreib mir gerne. Ein kleiner Hinweis, vielleicht kannst Du Dir unter Gleitwirbel mehr vorstellen, als unter dem Fachterminus Spondylolisthesis.

Take-Away

Wie Du dem bisherigen Text hoffentlich entnehmen kannst, ist Schmerz und die Wahrnehmung etwas sehr Individuelles und nur weil etwas an einer Stelle schmerzhafter ist, als an einer anderen, heißt das nicht zwangsläufig, dass die schmerzhaftere Stelle „kaputter“ ist.

Ebenso individuell ist die Behandlung des Schmerzes, vor allem, wenn es sich um chronischen Schmerz handelt. Vielleicht ist Dir jetzt auch klarer, warum ich in einem der vorherigen Artikel Warum wenige konkrete Empfehlungen? versucht habe, zu erklären, wieso alles sehr individuell ist.

Ein wichtiger Punkt kann es sein, Einflussfaktoren für Deinen Schmerz zu identifizieren. Hierzu bietet es sich an, ein Schmerztagebuch zu führen. Anfangs würde ich hier versuchen, so objektiv wie möglich verschiedenste Punkte zu dokumentieren, neben der Dokumentation des Schmerzes.

Diese Einflussfaktoren kannst Du entweder alleine in Angriff nehmen oder Du kannst das Schmerztagebuch mit zu deinem Behandler nehmen, damit ihr gemeinsam die Faktoren identifizieren und Lösungswege finden könnt.

Ein wichtiger Punkt, der auch in der Nationalen Versorgungsleitlinie zu Nicht spezifischem-Kreuzschmerz betont wird, ist, dass körperliche Aktivität so weit wie möglich beibehalten werden sollte. Bei akuten Verletzungen, wie beispielsweise einem gebrochenen Knochen, ist das natürlich etwas anderes. Bei vielen, vor allem chronischen Schmerzsymptomatiken, ist Bewegung aber ein essenzieller Teil der Behandlung.

Als Faustformel kannst Du Dir merken, dass wenn der Schmerz nicht so schlimm ist, dass Du das Gefühl hast, die Bewegung oder Belastung direkt abbrechen zu müssen und er auch im Nachgang nicht schlimmer wird, kannst Du versuchen, die Bewegung weiter auszuführen.

Solltest Du Dir aber unsicher sein oder der Schmerz mehr und mehr werden, so konsultiere bitte einen Experten, der Dich untersuchen und beraten kann.

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