Dehnen hat viele positive Effekte und ist eine sehr beliebte Maßnahme, auch bei Schmerzen. Allerdings gibt es auch starke Diskussionen, ob Dehnen bei Schmerzen Dich wirklich weiterbringen kann. Um hier den vorzugreifen, in gewissen Situationen wird es Dir weiterhelfen, teilweise können Schmerzen hierüber aber auch verstärkt werden.

Bei plantarem Fersenschmerz (fälschlicherweise oft dem Fersensporn zugeschrieben), sind Dehnübungen ein Bestandteil des Übungsprogramms, das ist Patienten mitgebe, denn Dehnen kann bei Schmerzen, die ein Symptom dieses Beschwerdebilds sind, nachweislich helfen (1).

Da es viele verschiedene Möglichkeiten des Dehnens gibt und auch einige Punkte auf die Du achten solltest, wenn Du möchtest, dass Dir Dehnen bei Schmerzen hilft und es nicht schlimmer werden soll, gehen wir die einzelnen Punkte peu à peu in diesem Artikel durch.

Dieser Artikel ist übrigens ein kleines Update zu einem früheren Artikel, wo ich der Frage nachgegangen bin, ob man sich regelmäßig dehnen muss.

Variationen des Dehnens

Grob gesehen gibt es drei verschiedene Formen des Dehnens. Was allen Varianten aber gemein ist, ist, dass ein Muskel gezielt auf Länge gebracht und dadurch gedehnt wird. Worin sich die verschiedenen Formen allerdings unterscheiden, ist wie und ob die Dehnung gehalten wird.

Statisch

Beim statischen Dehnen wird die Dehnung über einen gewissen Zeitraum gehalten. Häufig werden kurze Dehnzeiten von ca. 30 Sekunden genutzt, es gibt aber auch Effekte, die erst bei wirklich langen Dehnzeiten von bis zu 120 Minuten (!) auftreten (2).

Extrem lange Dehnzeiten werden allerdings nur selten in der Behandlung genutzt, da es sehr oft an der praktischen Umsetzung mangeln dürfte. Zumal in den Studien, die solch lange Dehnungen nutzten, auch oft eine relativ hohe Schmerzintensität genutzt wurde (7-8/10), um die erwünschten Effekte, wie Kraftsteigerungen zu erzielen (2).

Interessant ist allerdings, welche Effekte sich über diese Form des Dehnens erreichen ließen, aber dazu kommen wir etwas später.

Dynamisch

Eine Form des dynamischen Dehnens, das ballistische Dehnen, habe ich früher immer mit Fußball verbunden, da ich es dort zuerst gesehen habe. Allerdings wird es nicht nur dort eingesetzt.

Beim ballistischen Dehnen näherst Du Dich dem Ende einer Bewegung und federst immer wieder in das Bewegungsende hinein.

Es muss nicht allerdings immer ein hinein federn sein, sondern kann es kann auch einfach ein Durchbewegen sein, bei dem Du immer wieder bis ans Limit der Bewegung gehst. Der Unterschied zu Mobilisationsübungen ist hier fließend und je nach Definition von Mobilisationsübungen könnte man dieses Durchbewegen auch so bezeichnen. Für mich zielen Mobilisationsübungen allerdings eher auf Gelenke ab, anstatt auf Muskeln, wie bei Dehnübungen.

Mischformen

Wie immer gibt es auch Mischungen des Ganzen, sodass sich das statische Halten und das dynamische Bewegen abwechseln.

Eine Form ist beispielsweise das sogenannte PNF-Dehnen. Hierbei gehst Du bis ans Ende der Beweglichkeit eines Muskels, hältst dort statisch für einen gewissen Augenblick die Dehnung. Dann spannst Du den Muskel, den Du dehnen willst, an und gehst dann weiter in die Dehnung.

Effekte des Dehnens

Wie schon angedeutet kann Dehnen viele Effekte auf den Körper haben und wir kommen auch noch dazu, wie Dehnen Dir bei Schmerzen helfen kann. Allerdings schauen wir uns hierzu erstmal an, welche positiven Effekte Dehnen generell haben kann, um gezielt darauf eingehen zu können, bei welchen Schmerzen Dehnen wie helfen kann. Für letzteres nenne ich Dir auch unter jedem Punkt mindestens ein Beispiel, was zeigt, wann sich hierüber eine Schmerzlinderung erzielen lässt.

Verbesserung Beweglichkeit

Vermutlich der bekannteste Punkt, aber Dehnen kann helfen die Beweglichkeit zu verbessern. Wie genau wird nach wie vor diskutiert. Am wahrscheinlichsten scheint eine Erhöhung der Dehnungstoleranz zu sein (3). Zudem nimmt aber auch die Nervensteifigkeit ab (4). Die Beweglichkeitsverbesserung scheint bei passiven, statischen Dehnungen größer zu sein als bei aktiven Dehnübungen. (5)

Viele meiner Patienten kennen es, wenn ein Muskel „zugemacht hat“ und Bewegungen nicht mehr zulässt, am typischsten durch Überlastung. Durch die entstehenden Schmerzen, wenn der Muskel in die eingeschränkte Richtung bewegt wird, wird in diesen Situationen die Beweglichkeit verhindert. Dehnen kann hier eine Möglichkeit sein, die Beweglichkeit zu verbessern und durch die gesteigerte Dehntoleranz die Schmerzen zu lindern.

Wichtig scheint hierbei zu sein, dass die Dehnungen regelmäßig durchgeführt werden und auch lange gehalten werden (2, 5)

Kraftsteigerung

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Nicht mehr im Fitnessstudio quälen und trotzdem Kraft aufbauen, aber erinnerst Du Dich, was ich weiter oben erwähnt habe, dass hierbei nicht nur extrem lange Dehnungen benötigt werden von bis zu 120 Minuten? Zumal auch die Schmerzintensität, die bei 7-8 auf einer Skala von 0 bis 10 lag, lassen Dehnungen als Ersatz für Krafttraining doch nicht mehr ganz so reizvoll wirken (2).

Bezüglich des Muskelzuwachses und der Maximalkraftsteigerung konnte in den Untersuchungen aber auch kein Vorteil für ein klassisches Hypertrophietraining (Krafttraining, das auf Muskeldickenwachstum abzielt) gefunden werden (2).

Es gibt zwei Mechanismen, wie solche Arten zu dehnen bei Schmerzen helfen können. Zum einen wirst Du Dich über die hohe Schmerzintensität an Schmerzen gewöhnen und andere Schmerzen werden Dir vielleicht nicht mehr so intensiv vorkommen. Zum anderen ist ein starker Muskel aber auch belastbarer und auch auf diesem Weg kann Dehnen bei Schmerzen helfen.

Verbesserung der Blutgefäße

Wenn Gefäße gedehnt werden im Rahmen muskulärer Dehnungen, kommt es zu einer Verbesserung des Gefäßsystems in dem Sinne, dass die Gefäße ihre Steifigkeit reduzieren und somit die arterielle Compliance verbessert werden kann. Zudem kann es nach der Dehnung auch zu einer Mehrdurchblutung kommen (6). Beides Faktoren, die bei Krankheiten, wie z.B. PAVK (auch als Schaufensterkrankheit bekannt) eine wichtige Rolle in der Therapie spielen.

Bei Krankheiten wie der PAVK zeigt sich auch deutlich, wie eine Minderdurchblutung zu Schmerzen führen kann. Bei betroffenen Patienten wird die Gehstrecke immer kleiner, da Schmerzen im Bereich des Beins, die aufgrund der Minderdurchblutung entstehen, die Patienten am Weitergehen hindern.

Die gängigste Variante hierfür ist Gehtraining, was ab einem gewissen Grad der Erkrankung und auch in Abhängigkeit der Motivation des Patienten nicht immer gut umsetzbar ist. Aus diesem Grund würde ich als Alternative Dehnen bei Schmerzen aufgrund von Durchblutungsstörungen durchaus in Erwägung ziehen und probieren.

Stressreduktion

Kurzfristig kann es durch Dehnungen zu einer Steigerung des Sympathikus kommen. Werden Dehnprogramme aber über einen längeren Zeitraum durchgeführt, so kommt es zu einer Steigerung der Parasympathikusaktivität, also einer Entspannung bzw. Stressreduktion. (6)

Da Stress zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung führen kann, kann über eine Entspannung das Alarmsystem des Körpers heruntergefahren werden und Schmerzen werden oft weniger intensiv wahrgenommen.

Schmerzlinderung

Endlich kommen wir zum Konkreten, wie Dehnen bei Schmerzen helfen kann: Es kann direkt schmerzlindernd wirken (4). Allerdings sind hierfür ein paar Punkte wichtig, die wir uns im folgenden etwas genauer anschauen.

Dehnen bei Schmerzen, worauf solltest Du achten

Um mal wieder ein klassisches Zitat von Paracelsus zu bringen: Die Dosis macht das Gift.

So ist es, auch wenn Du Dehnen bei Schmerzen als Therapie anwenden willst. Wie wir uns bereits angeschaut haben, kann auch eine intensive Dehnung genutzt werden, um Effekte wie Kraftzuwachs zu erzielen.

Wenn Du Schmerzen loswerden willst, würde ich aber etwas anders vorgehen, zumindest zu Beginn. Denn es macht wenig Sinn, dass das durch den Schmerz schon hochgefahrene Alarmsystem noch weiter getriggert wird und somit die Schmerzempfindlichkeit weiter erhöht wird.

Persönlich habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, die Dehnungen für mindestens eine Minute zu halten, mit einer leichten bis mittleren Intensität, je nach Schmerzintensität und Schmerzempfindlichkeit auch durchaus länger und dafür mit weniger Intensität.

Erklären tue ich mir und Patienten das damit, dass der Dehnreiz auch eine gewisse Schutzfunktion einnehmen kann, wenn Du zum Beispiel umknickst. Über die plötzliche Dehnung der Muskulatur merkt Dein Körper, dass eine Verletzung bevorsteht und wird erstmal reflektorisch dagegen anspanne, um die Verletzung zu vermeiden. Wenn Du jetzt eine Entspannung erzielen willst und über das Dehnen bei Schmerzen eine Linderung erzielen möchtest, braucht Dein Körper eine gewisse Zeit, um das zuzulassen.

Ein weiterer wichtiger Faktor, um zu erkennen, wie intensiv eine Dehnung durchgeführt werden sollte, ist, ob es sich um einen Muskelschmerz oder Nervenschmerz handelt. Das kann vor allem als Laie, aber auch manchmal als Therapeut schwierig zu differenzieren sein. Zwar gehen Nervenbeschwerden häufig auch mit Symptomen wie Kribbeln oder Taubheit einher, müssen sie aber nicht unbedingt. Zumal Nerven, wie beispielsweise der Ischiasnerv im selben Moment auf Dehnung kommen, wie die Muskulatur der Oberschenkelrückseite (Mm. ischiocrurales).

Der SLR oder auch straight leg raise Test untersucht sowohl die Dehnbarkeit der Knie beugenden Muskulatur („Ischios“ oder Ischiocrurale Muskulatur), als auch die Dehnungstoleranz des Ischiasnervs.

Wenn ein Nerv zu intensiv gedehnt wird (> 15-20 %) kann es zu einer sogenannten Dehnungsläsion kommen und die Beschwerden können hierdurch intensiver und therapieresistenter werden.

Differenzieren kannst Du es während der Dehnung am ehesten durch Dein eigenes Körpergefühl, lässt die Dehnung im Laufe der Zeit nach und hast Du das Gefühl, dass die Dehnung Dir guttut, dann wird es vermutlich eine passende Intensität sein. Persönlich nutze ich bei Nervenbeschwerden allerdings lieber sogenannte Slider, die wir uns schon beim Ischiasnerv oder auch dem Karpaltunnelsyndrom angeschaut haben.

Über den Mechanismus, der bei den Slidern genutzt wird, lässt sich auch besser differenzieren, ob die Dehnung durch die Muskulatur entsteht, oder ob eher Nerven gedehnt werden.

Fazit

Je nach Situation lassen sich unterschiedliche Effekte durch Dehnübungen erzielen, die dazu führen, dass Dehnen bei Schmerzen helfen kann.

Vor allem in der hochakuten Phase, würde ich differenzieren, ob Nerven die Schmerzen auslösen oder ob die Muskulatur bzw. Gründe für die Schmerzen verantwortlich sind. Im Falle von Nervenschmerzen würde ich mit Slidern in der Therapie starten und in anderen Fällen kann Dehnen hilfreich sein.

Generell solltest Du auf die Reaktionen Deines Körpers achten und auf diese hören. Es bringt nichts immer weiter intensiv zu dehnen, wenn Du direkt merkst, dass es Dir nicht guttut oder wenn die Schmerzen danach anhaltend mehr werden.

Falls die Schmerzen durch eine Verletzung aufgetreten sind oder durch ein bestimmtes Ereignis getriggert wurden, solltest Du Dich eher von einem Fachmann untersuchen lassen, um zu klären, was der Auslöser ist. Denn auch bei Gewebeschäden wäre ich mit Dehnübungen zumindest am Anfang eher zurückhaltend.

Als alleinige Intervention würde ich Dehnungen langfristig allerdings nicht nutzen, denn hierüber eine spezifische Belastbarkeit zu erhöhen, ist in meinen Augen eher schwierig. Gezielte Kräftigungsübungen sind hier oft zielführender, Dehnungen können aber zusätzlich genutzt werden.

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