Die Worte chronische Schmerzen nutze ich nur sehr selten im Umgang mit meinen Patienten. Nicht weil ich es unwichtig finde, wie lange Schmerzen schon bestehen, sondern eher, weil die meisten Patienten das Wort chronisch leider viel zu oft falsch verstehen.

An sich bedeutet chronische Schmerzen nur, dass die Schmerzen schon über einen gewissen Zeitraum bestehen, nicht mehr und nicht weniger. Es wird also nur rückblickend etwas beschrieben.

Vielfach wird chronisch fälschlicherweise aber nur so verstanden, dass es sich um einen von jetzt an dauerhaften Zustand, unheilbaren Zustand handeln würde. Zwar gibt es Erkrankungen, bei denen das zutreffen mag, das Wort chronisch stellt aber keine Prognose für die Zukunft dar.

Ab wann man davon spricht, dass es sich um chronische Schmerzen handelt und welche Konsequenzen sich daraus für die Therapie ergeben, das ist der Inhalt dieses Artikels.

Definitionen

Um die Verwirrung zu reduzieren, schauen wir uns zunächst mal ein paar Definitionen an, damit wir eine gemeinsame Basis haben, über die wir reden.

Chronisch

Der Begriff chronisch stammt vom altgriechischen Wort Chronos ab und bedeutet langsam, lange andauernd oder auch die Zeit. 

In der Übersetzung finden sich dann auch bereits zwei wichtige Anteile der Definition von chronischen Erkrankungen. Zum einen entwickeln sie sich oft langsam und schleichend, teils auch ohne einen eindeutigen Ausgangspunkt. Zum anderen dauern sie einen langen Zeitraum an (1, 2).

Eine eindeutige zeitliche Eingrenzung, ab wann Beschwerden als chronisch bezeichnet werden, gibt es für bestimmte Krankheitsbilder, wie zum Beispiel die chronische Bronchitits. Bei vielen Beschwerden spricht man ab einem Zeitraum von 3 bis 6 Monaten davon, dass diese chronisch geworden sind.

Schmerzen

Die Definitionen von Schmerzen haben wir uns an anderer Stelle bereits genauer angeschaut. Um einen kurzen Auszug meines Artikels zu zitieren, in dem ich mich auf die Definition der International Association for the Study of Pain (IASP) beziehe:

„Schmerz wird laut IASP definiert, als eine unangenehme, sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschäden einhergeht.“

Diese Definition gilt vor allem für akute Schmerzen und zeigt die wichtige Warnfunktion, die Schmerz einnimmt. Wenn es sich um chronische Schmerzen handelt, geht dieser warnende Mechanismus allerdings verloren (3), wie Du gleich sehen wirst.

Chronische Schmerzen

Chronische Schmerzen werden mittlerweile von diversen Fachleuten als eigenständige Krankheit definiert (4). Dieser Herausforderung kommt auch die Leitlinie nach, die sich eigens mit chronischen, nicht tumorbedingten, Schmerzen beschäftigt (3).

Die Leitlinie spricht sich dafür aus, dass Schmerzen ab einer Dauer von mehr als 3 Monaten als chronische Schmerzen definiert werden sollten.

Das heißt jetzt allerdings nicht, dass die Schmerzen dauerhaft da sein müssen. Bei chronischen Schmerzen ist es häufig ein Auf und Ab der Schmerzintensität und Schmerzausprägung (3). Wie zuvor schon erwähnt erfüllen chronische Schmerzen nicht mehr die nützliche Warnfunktion, die akute Schmerzen noch erfüllen können.

Über die Entstehung ist man sich noch nicht gänzlich sicher und es gibt viele Theorien, wie diese entstehen können.

Lerntheoretischer Ansatz

Ein Erklärungsansatz fußt darauf, dass Patienten Schmerzen mit bestimmten Handlungen oder auch Situationen verknüpfen (3, 5), es findet also eine Art Konditionierung statt (6). Dies kann nicht nur durch negative Reize passieren, wie beispielsweise eine bestimmte Bewegung, die häufig Schmerzen auslöst (3, 6, 7), sondern es kann auch durch positive Reize dazu kommen, dass Schmerzen chronisch werden (3).

In diesem Fall spricht man dann häufig vom sekundären Krankheitsgewinn. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Du durch Deine Schmerzen mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge von Deinem Umfeld erfährst (3).

Das Schmerzgedächtnis

Eng verknüpft mit dem lerntheoretischen Ansatz ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen häufig fällt, das Schmerzgedächtnis. Das heißt, es ist zu einer Veränderung auf neurophysiologischer Ebene (3) gekommen und bestimmte Neurone haben sich „zusammengeschaltet“ entsprechend dem Grundsatz „What fires together – wires together“ (7).

Das klingt jetzt im ersten Moment vermutlich ziemlich kompliziert und bedrohlich. Ist es aber deutlich weniger, als Du denkst. Unsere Hirnstruktur verändert sich im Laufe des Lebens immer wieder, man spricht hier auch von Neuroplastizität. In jungen Jahren passiert das noch deutlich schneller, im Laufe des Lebens wird dieser Prozess dann etwas träger.

Du kannst Dir das Entstehen der Verbindungen im Gehirn ein bisschen vorstellen wie Waldwege. Je häufiger ein bestimmter Weg gegangen wird, desto eher wird aus einem Trampelpfad, der zunächst kaum erkennbar ist, ein richtiger Weg, der sich auch aus der Distanz gut erkennen lässt. Wird dieser Weg aber länger nicht mehr genutzt, verwildert er im Laufe der Zeit wieder und ist irgendwann verschwunden.

Das Thema haben wir uns übrigens auch schon einmal im Zusammenhang mit psychosomatischen Beschwerden angeschaut.

Kognitiv-behavioraler Ansatz

Hierbei wird die Bedeutung der gefühlten Hilflosigkeit gegenüber den Schmerzen als aufrechterhaltender Faktor von chronischen Schmerzen betont. Somit wird hierbei dem psychischen Anteil des bio-psycho-sozialen Modells Rechnung getragen (3).

Was kannst Du tun?

Wichtig ist erstmal, dass Dir die Diagnose chronische Schmerzen keine Angst macht, denn wie schon beschrieben heißt es lediglich, dass die Schmerzen über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten bestehen. 

Zwar wird es nicht unbedingt leichter, wenn chronische Schmerzen schon lange bestehen, diese loszuwerden, es ist grundsätzlich aber auch nach langer Schmerzdauer möglich. Die zuvor erwähnte Neuroplastizität kann nicht nur chronische Schmerzen mit bedingen, sondern auch helfen, diese wieder loszuwerden (5, 6, 7).

Wenn Dich das Thema Neuroplastizität genauer interessiert, kann ich Dir die nebenstehende Arte Doku (8) wärmstens empfehlen. Hier geht es auch darum, welche therapeutischen Möglichkeiten es hier gibt.

Die konkrete Behandlung ist häufig sehr individuell und häufig kann ein multimodaler Ansatz sinnvoll sein, das heißt mehrere Gesundheitsbereiche arbeiten Hand in Hand zusammen. Was aber immer die Basis darstellen sollte ist, dass Du körperlich aktiv wirst und Deine körperliche Aktivität steigerst. Hierbei ist es übrigens weniger relevant, welche Aktivität das ist, sondern eher, dass Du dieser regelmäßig nachgehst (3).

Hier wirken dann mehrere Mechanismen, einer ist die Ausschüttung von Endorphinen (körpereigenen Morphinen), die direkt schmerzlindernd wirken. Weiterhin wird hierüber aber auch die gefühlte Hilflosigkeit reduziert, was auch Bestandteil der nächsten wichtigen Säule ist.

Wichtig in der Behandlung chronischer Schmerzen ist, dass Du lernst, wie Du mit Deinen chronischen Schmerzen besser umgehen kannst. Das heißt, welche Dinge tun Dir gut, was kannst Du ohne Schmerzen machen und welche Dinge solltest Du zu Beginn vielleicht eher noch vermeiden, da sie für Dich zu stark mit Schmerzen verbunden sind.

Es kann hierbei sinnvoll sein, dass Du Dir in einer schmerzfreien Phase die Dinge aufschreibst, die einen positiven Einfluss auf Deine Schmerzen haben, quasi als eine Art „Notfallmaßnahmen“, wenn der Schmerz stärker werden sollte. Diese Liste solltest Du gut erreichbar für Dich haben. Alleine über das Wissen, dass es mehrere Dinge gibt, die Dir helfen, die Schmerzen zu reduzieren, werden diese seltener auftreten (7).

Welche weiteren Maßnahmen alle zur Verfügung stehen, haben wir uns bereits im Artikel über Schmerztherapie angeschaut.

Was mir an dieser Stelle noch einmal wichtig ist zu erwähnen ist, dass bei chronischen Schmerzen nicht mehr die Warnfunktion akuter Schmerzen vorherrscht und die Schmerzen nur selten mit Gewebeschäden zusammenhängen (7).

Fazit

Chronische Schmerzen werden zu Recht mittlerweile als eigenes Krankheitsbild definiert, da die Behandlung häufig komplexer ist, als bei akuten Schmerzen.

Wichtig ist es, typische Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und Dich als Patient mit ins Boot zu holen und Dein Wissen über chronische Schmerzen zu steigern, denn je mehr Du weißt, desto besser kann eine Behandlung funktionieren.

Die Behandlung kann manchmal langwierig sein, allerdings solltest Du Dir immer vor Augen halten, dass Veränderungen, die zu einem chronischen Krankheitsverlauf geführt haben, auch umkehrbar sind.

Die Beschreibung chronische Schmerzen bedeutet letztlich nur, dass Deine Schmerzen schon länger als 3 Monate bestehen, liefert aber keine Prognose, wie lange diese noch bestehen werden.

Wenn Du über meine Artikel hinaus noch mehr über Schmerzen lernen willst und wie man diese behandelt, kann ich Dir folgendes Buch von David Butler und Lorimer Moseley „Schmerz verstehen“ empfehlen. Das Buch richtet sich sowohl an Laien, als auch an Therapeuten. Persönlich konnte ich hier schon viele nützliche Erklärungsmodelle für meine tägliche Arbeit rausziehen.

Quellen

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Krankheitsverlauf#Einteilung_nach_zeitlichem_Verlauf (Zugriff am 17.06.2024)

(2) https://flexikon.doccheck.com/de/Chronisch (Zugriff am 17.06.2024)

(3) https://www.iasp-pain.org/publications/iasp-news/iasp-announces-revised-definition-of-pain/ (Zugriff am 17.06.2024)

(3) Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM), S1-Leitlinie Chronischer nicht tumorbedingter Schmerz, Version 2.0, 30.11.2023, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-036, Zugriff am 16.01.2024

(4) https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz/chronische-schmerzen (Zugriff am 16.01.2024)

(5) https://www.physiomeetsscience.net/einfluss-der-kognition-auf-chronische-schmerzen/ (Zugriff am 17.04.2024)

(6) https://www.physiomeetsscience.net/wie-erwartungen-rueckenschmerzen-formen/ (Zugriff am 17.04.2024)

(7) https://www.physiomeetsscience.net/ein-plaedoyer-fuer-chronische-schmerzpatienten/ (Zugriff am 17.04.2024)

(8) https://youtu.be/1uQULr7qjW4?si=Ofljr5vSJkvXwm7V (Zugriff am 17.04.2024)

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