In den meisten Anamnesegesprächen kommt früher oder später der Punkt, an dem ich von meinen Patienten die Antwort bekomme: „Das weiß ich nicht.“ Abhilfe kann hier (vor allem bei Schmerzpatienten) das Führen eines Schmerztagebuchs schaffen. Gibt man den Begriff jetzt in Google-Suche ein, findet man unglaublich viele Informationen und auch Vorlagen. Was meist aber leider oftmals etwas untergeht, ist die Erklärung, welche Ziele hinter dem Führen eines Schmerztagebuchs stecken. In einem vorherigen Artikel habe ich Dir bereits einen ersten kleinen Einblick dazu gegeben und möchte diesen jetzt etwas vertiefen.
Verbesserung der Selbstwirksamkeit
Auf der Homepage der AOK findet sich im Artikel über Selbstwirksamkeit in den ersten Absätzen eine gute Definition hierzu, die in meinen Augen wichtigsten Punkte habe ich markiert:

Was ist Selbstwirksamkeit?

Jeder ist seines Glückes Schmied – in dieser Redensart steckt viel Wahres. Denn in Situationen, in denen Menschen Glück oder Pech empfinden, spielt häufig auch die eigene Grundüberzeugung eine Rolle: Fühlt sich jemand der Situation ausgeliefert? Oder ist er davon überzeugt, selbst Einfluss auf den Gestaltungsspielraum und auf Emotionen bei Erfolg und Misserfolg zu haben? Hier kommt das psychologische Prinzip der Selbstwirksamkeit (Social Cognitive Theory) ins Spiel. Das Prinzip der Selbstwirksamkeit ist auf den Psychologen Albert Bandura zurückzuführen und wurde unter anderem von Julian Rotter weiterentwickelt. Selbstwirksamkeit bedeutet, die innere Überzeugung zu haben, schwierige oder herausfordernde Situationen gut meistern zu können – und das aus eigener Kraft heraus.
Wie hängt Selbstwirksamkeit jetzt mit einem Schmerztagebuch zusammen?
Das Schmerztagebuch soll Dir die Möglichkeit geben, Zusammenhänge zwischen Deinen Schmerzen und verschiedenen Auslösern zu finden. Was aber noch viel wichtiger ist, Dir aufzeigen, welche Maßnahmen Dir dabei helfen, Deinen Schmerz zu reduzieren. Das Ziel einer Therapie sollte immer sein, diese zu fördern, sodass im Idealfall ein Therapeut/ Arzt irgendwann unnötig wird. Klar lässt sich letzteres auch dadurch erreichen, dass Dir ein Therapeut Übungen mit klaren Vorgaben gibt, wie Du diese ausführen sollst. Wenn Du aber selbstständig lernst, diese anzupassen, werden zum einen Deine Erfolge deutlich größer sein und Du wirst somit zu Deinem eigenen Therapeuten.
 Ok, klingt gut, wie mache ich das jetzt?
Wichtig ist, dass Du das Schmerztagebuch jeden Tag wirklich neu ausfüllst und nicht einfach im Stile von Copy-and-paste den Vortag überträgst. Du solltest es idealerweise zeitnah ausfüllen. Wenn Du bis zum nächsten Tag wartest, ist die Gefahr groß, dass Du das Ergebnis vorinterpretierst und somit Ungenauigkeiten auftreten. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, das Schmerztagebuch digital zu führen, über Dein Handy. Nutzen kannst Du hierfür entweder die vorinstallierte Notiz-App, Journal-Apps wie DayOne oder Schmerztagebuch-Apps. Ein Nachteil kann hierbei der Datenschutz sein, hier musst Du für Dich selbst bewerten, wo Deine Prioritäten liegen. Sinnvoll ist es meist, eine Aufschlüsselung grob nach Tageszeiten mit aufzunehmen, sprich Morgens, Mittags, Abends, Nachts. Ein Zeitraum von mindestens 4 Wochen bietet sich bei länger bestehenden Beschwerden an, vor allem bei Frauen, worauf ich später noch genauer eingehe.
Kommen wir zu den genauen Inhalten
Wie schon erwähnt, macht es Sinn, nach Tageszeiten aufzuschlüsseln. Die Lokalisation des Schmerzes ist ein weiterer wichtiger Punkt. Ebenso die Dauer und die Intensität des Schmerzes. Die Intensität wird klassischerweise auf einer Skala von 0 bis 10 beschrieben, der sogenannten Numeric Rating Scale. Fast selbsterklärend bedeutet 0, dass kein Schmerz vorhanden ist und 10, dass Du vor Schmerzen in Ohnmacht fällst. Optional lassen sich auch solche Tools nutzen, um die Schmerzintensität einzuordnen. Wenn Dir ein Auslöser auffällt, macht es unbedingt Sinn, diesen zu dokumentieren. Dies kann bestimmtes Essen sein, Sport oder auch bestimmte Alltagsbewegungen. Ein weiterer Punkt, der auf jeden Fall in ein Schmerztagebuch gehört ist, welche Maßnahmen Du selbst ergriffen hast und wie deren Einfluss auf Deinen Schmerz ist. Mir sind zudem immer noch die Schlafqualität und die Stimmung bzw. der Stress wichtig. Auch diese lassen sich mit obiger Numeric Rating Scale objektivieren (0 keine Auffälligkeiten, 10 am schlimmsten).
Ergänzungen
Gibt es eine Bewegung, die Dir regelmäßig Schmerzen bereitet, so macht es Sinn diese neben den „Alltagsschmerzen“ in ihrer Intensität zu dokumentieren. Bei Frauen ist es zudem wichtig zu dokumentieren, welcher Tag des Zyklus ist bzw. ob gerade die Periode stattfindet. Dies ist umso wichtiger bei Patienten, die unter Endometriose leiden. Aus diesem Grund ist es vor allem bei Frauen auch sinnvoll, über mindestens vier Wochen das Schmerztagebuch zu führen.
Weitere Möglichkeiten
Diese Form der Dokumentation lässt sich auch für andere Beschwerden nutzen und nicht ausschließlich für Schmerzen. Leidest Du beispielsweise unter Verdauungsbeschwerden, kannst Du versuchen mittels eines Ernährungstagebuchs mehr hierüber herauszufinden und erste gezielte eigene Schritte zu übernehmen. In diesem Fall würde es sich anbieten, folgende Punkte zu dokumentieren:
  • Nahrungsmittel
  • Beschwerdeart und -intensität
  • Dauer und Abstand zum Essen, bis diese auftreten
  • Schlaf
  • Stress/ Stimmung
  • bei Frauen Zyklustag/ Periode
  • Nahrungsergänzungsmittel bzw. Medikamente
Wofür noch der Therapeut, wenn ich eh selbst experimentiere?
Wenn der Idealfall eintritt und Du selbst mittels des Schmerztagebuchs Deine Beschwerden in den Griff kriegst, brauchst Du einen Therapeuten nicht wirklich. Aufgrund der Erfahrungswerte kann ein Therapeut Dir aber oftmals konkrete Maßnahmen vorschlagen, die erfahrungsgemäß oft helfen. Da viele Maßnahmen, wie beispielsweise Training, aber oft individuell angepasst werden müssen, ist Deine Mitarbeit ein sehr wichtiger Katalysator.

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