Im letzten Artikel Was sind eigentlich Schmerzen? haben wir uns bereits angeschaut, dass strukturelle Gewebeveränderungen nicht zwingend mit Schmerzen einhergehen müssen und nicht den größten Einfluss darauf haben. Gerne möchte ich hier auch nochmal auf mein Lieblingsbild aus dem MRT einer schmerzfreien Patientin verweisen. Auch Nationale Versorgungsleitlinien, wie die Leitlinie zum Thema „Nicht- spezifischer Kreuzschmerz“ nehmen auf dieses Wissen Bezug. Unter dem Punkt Diagnostik findet sich beispielsweise folgendes:
„Finden sich bei Patienten mit Kreuzschmerzen durch Anamnese und körperliche Untersuchung beim Erstkontakt keine Hinweise auf gefährliche Verläufe oder andere ernstzunehmende Pathologie, sollen vorerst keine weiteren diagnostischen Maßnahmen durchgeführt werden.“ (Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Kurzfassung, 2. Auflage. Version 1. 2017 [cited: 2022-09-27]. DOI: 10.6101/AZQ/000377. www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de)
Nachteile von Bildgebender Diagnostik
Was aber sind die Nachteile, wenn ich mehr darüber weiß, was im Körper „kaputt“ ist, wirst Du Dich vielleicht jetzt fragen? Schauen wir uns zunächst mal an, wie die Leitlinie weitergeht:
da die Befunde technischer Untersuchungen häufig nicht die Therapieentscheidung und den Behandlungserfolg verbessern. Deshalb ist es sinnvoll, weitere diagnostische Maßnahmen nur gezielt einzusetzen. Durch die Beschränkung auf die unten angeführte Basisdiagnostik können den Betroffenen unnötige Belastungen und dem Gesundheitswesen unnötige Kosten erspart werden. Weiterhin ist zu beachten, dass bei einer intensiven Diagnostik ohne klinischen Verdacht nur in Ausnahmefällen eine spezifische Diagnose erwartet werden kann; diese fördert dagegen eine iatrogene Fixierung und somit eine Chronifizierung der Schmerzen.
Dröseln wir den obigen Text mal auf:
Es macht keinen Unterschied
Im ersten Teil ist erwähnt, dass Therapieentscheidungen und auch die Behandlungserfolge häufig nicht durch die Befunde technischer Untersuchungen beeinflusst werden. Hierdurch entstehen zwei Nachteile, die im nächsten Satz benannt werden. Dir (den Betroffenen) entstehen unnötige Belastungen (hierauf gehe ich gleich weiter ein) und dem Gesundheitswesen entstehen unnötige Kosten. Die Belastungen, die Dir als Betroffenem entstehen, sind gleich mehrere. Zunächst einmal verlierst Du Zeit, die Du unter anderem für Deine Therapie aufbringen könntest. Bei Röntgen und einem CT kommt noch die Strahlenbelastung dazu. Des Weiteren kann der Befund zu unnötigen Operationen führen, sowie der Problematik, dass die Genesung beeinflusst werden kann, wenn die Beschwerden auf der Grundlage von Bildern erklärt werden. Beispielhaft sei hier die Studie von Rajasekaran, S. et al. 2021 erwähnt, in der diese Problematik bei Patienten mit Rückenschmerzen nachgewiesen wurde. Weiterhin wird in der Leitlinie erwähnt, dass ein großes Problem in der iatrogenen Fixierung und somit einer Chronifizierung der Schmerzen liegt. Unter einer iatrogenen Fixierung versteht man laut Amboss folgendes:
Durch die Art, wie sich der Arzt dem Patienten gegenüber verhält, fühlt sich der Patient in seiner Vermutung bestärkt, tatsächlich körperlich erkrankt zu sein. Dies kann soweit gehen, dass der Patient tatsächlich Symptome entwickelt https://www.amboss.com/de/wissen/Arzt-Patient-Beziehung/#:~:text=Iatrogene%20Fixierung%3A%20Durch%20die%20Art,der%20Patient%20tats%C3%A4chlich%20Symptome%20entwickelt%20. (Zugriff am 05.10.2022)
Viele strukturellen Veränderungen sind normal im Laufe des Lebens
Viele „Verschleißerscheinungen“ sind normal und treten mit steigendem Lebensalter gehäuft auf. Diese Veränderungen treten auch häufig bei beschwerdefreien Menschen auf. Bandscheibenvorfälle im Bereich des unteren Rückens lassen sich bei über 60-Jährigen, gesunden Probanden in über 60 % der Untersuchten im MRT feststellen. Dies konnten Brinkiki, W. et al. 2015 in ihrer Studie nachweisen.
Auch andere Zufallsbefunde sind möglich
Ein aktueller Artikel auf Ärztezeitung.de befasst sich mit der Study of Health in Pomerania. Ein Team der Universität Greifswald hatte die hier gewonnen Daten analysiert und kam zu dem Ergebnis, dass bei jedem dritten, mittels Ganzkörper-MRT, Untersuchten Zufallsbefunde auffällig waren, die zu einer weiteren Abklärung führten. Allerdings waren die durchgeführten Biopsien größtenteils unauffällig. Die Biopsien wurden durchgeführt, wenn die MRT-Befunden Tumor-verdächtig waren.
Ist bildgebende Diagnostik jetzt komplett unnötig?
Kurze Antwort: Nein In der Langform kommt es darauf an, weswegen die Bildgebung gemacht wird. Geht es beispielsweise nach einem Unfall darum, festzustellen, ob ein Knochen gebrochen ist, macht bildgebende Diagnostik natürlich Sinn. Bei einem chronischen Schmerzpatienten sieht das häufig anders aus. Wichtig ist, dass eine Hypothese besteht, die mittels bildgebender Diagnostik abgeklärt wird und sich hieraus eine Änderung der Therapie ergeben würde. Bei einem Knochenbruch könnte beispielsweise ein Gips notwendig sein oder, falls sich der Bruch verschoben hat, auch eine OP notwendig sein, um eine gute Heilung zu ermöglichen. Kann ein Bruch allerdings ausgeschlossen werden durch die Bildgebung, so kann deutlich früher wieder mit Belastung gestartet werden und die Zeit der Ruhigstellung wird deutlich reduziert, was wiederum in einer schnelleren Regeneration resultiert.
Take-Away
Du kannst als Laie nur bis zu einem gewissen Grad Einfluss darauf nehmen, welche Diagnostik bei Dir durchgeführt wird. Worauf Du allerdings Einfluss nehmen kannst, ist, was Du aus dem Ergebnis machst. Verschleißerscheinungen sind zu einem gewissen Grad normal und hängen nicht zwangsläufig mit Schmerzen oder Einschränkungen zusammen. Prüfe für Dich selbst, wie Du Einfluss auf Deine Beschwerden nehmen kannst. Wenn Du hier sachte vorgehst, Belastungen peu à peu steigerst und auf die Reaktionen Deines Körpers hörst, ist es unwahrscheinlich, dass Du etwas „kaputt“ machst. Dein Körper ist für Belastungen und die Anpassung daran gemacht. Wichtig ist allerdings zu Bedenken, dass Dinge, die sich über einen längeren Zeitraum aufgebaut haben, auch länger brauchen, bis sie sich normalisieren. Einen Spagat wirst Du auch nicht von jetzt auf gleich beherrschen, sondern Du brauchst Zeit dafür. Sollte Dir das ganze schwerfallen, such Dir einen Experten, der Dich vor allem mit Tipps versorgt, was Du selbst für Deine Gesundheit tun kannst.

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