Jetzt gab es zuletzt eine kleine kreative Pause im Blog und das erste Thema, mit dem ich nach zwei Wochen starte, ist sowas Trockenes, wie evidenzbasierte Medizin. Ich höre schon förmlich Deine Begeisterung oder Du weißt gar nicht, wovon ich rede, auch möglich.

An sich ist evidenzbasierte Medizin eigentlich das, was ich als Grundlage für eine ideale Behandlung sehe. In vielen Diskussionen wird Evidenz allerdings als Totschlagargument genutzt und auch leider nur auf eine der drei Säulen heruntergebrochen, was mehr als schade ist.

Ach ja und falls Du schon weißt, was evidenzbasierte Medizin ist und Dich jetzt wunderst, warum ich als Osteopath und Heilpraktiker das Thema anspreche: mit meinem Bachelor of Science als Physiotherapeut habe ich schließlich noch einen Ruf zu verlieren.

Wenn Du den Artikel gelesen hast, wirst Du unter anderem verstehen, was evidenzbasierte Medizin eigentlich ist und was der riesengroße Vorteil für Dich als Patient ist, wenn Dein Behandler wirklich evidenzbasiert arbeitet. Zusätzlich erfährst Du, welche wichtige Rolle die evidenzbasierte Medizin für Dich als Patient bereithält.

Was ist evidenzbasierte Medizin?

Falls Du mal in eine Diskussion zwischen verschiedenen Behandlern auf Social Media geraten sein solltest, wirst Du als evidenzbasierte Medizin vermutlich hauptsächlich einen von drei Teilen, die evidenzbasierte Medizin ausmachen, gezeigt bekommen haben: Studien und das Duell wer kann seine Behauptungen bzw. Erfahrungen mit Studien belegen.

Wie schon erwähnt macht dies allerdings nur ein Drittel dessen aus, was evidenzbasierte Medizin eigentlich beinhaltet. Die anderen beiden Anteile, nämlich die klinische Erfahrung des Behandlers und auch Deine Erwartungen als Patient werden hierbei nicht berücksichtigt.

Keine Sorge, wir schauen uns gleich noch genauer an, was die einzelnen Teile genauer beinhalten und warum sie alle gleichberechtigt sein sollten.

Vorher noch kurz ein kleiner geschichtlicher Hintergrund, die evidenzbasierte Medizin wurde vor allem durch Professor Archie Cochrane vorangetrieben, nach dem auch die internationale Cochrane Organisation benannt ist (1).

Dieser konnte beispielsweise als Kriegsgefangener 1941 im Zweiten Weltkrieg bei einer Gelbsuchtepedemie in einem Gefangenenlager den Nutzen von B-Vitaminen in Form von Hefe nachweisen (2).

Erstmals erwähnt wurde der Begriff 1793 in einem Artikel des schottischen Arztes George Fordyce („An Attempt to Improve the Evidence of Medicine“) (3).

Eine der ersten kontrollierten klinischen Studien wurde 1753 vom Schiffsarzt James Lind veröffentlicht, der die Behandlung von Skorbut mit Orangen und Zitronen untersuchte (2, 3), dieser war auch eines der Vorbilder von Cochrane (2).

Hierzulande vielleicht bekannte ist das tragische Schicksal des Arztes Ignaz Semmelweis, der heutzutage als Musterbeispiel für die methodisch korrekte Überprüfung einer wissenschaftlichen Hypothese gilt. Er untersuchte das Auftreten des sogenannten Kindbettfiebers und konnte einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Hygiene der Ärzte bzw. des Krankenhauspersonals und dem Auftreten dieser Erkrankung sowie dem Tod der Kinder feststellen (4).

Zu Lebzeiten erhielt er hierfür wenig Anerkennung, im Gegenteil von vielen seiner „Kollegen“ wurde er kritisiert und nicht anerkannt. Hygiene galt als Zeitverschwendung. 1865 verstarb er dann in einer während eines zweiwöchigen Aufenthalts in einer Psychiatrie unter nicht eindeutig geklärten Umständen (4).

Die evidenzbasierte Medizin basiert auf dem Zusammenspiel von drei Säulen, die wir uns im kommenden genauer anschauen werden: 

  1. Studien
  2. Behandler
  3. Patient
Evidenzbasierte Medizin - die drei Säulen

Studien (externe Evidenz)

Die Erkenntnisse aus Studien haben einen unglaublich großen Vorteil, man muss sich nicht mehr nur auf die Lehrmeinung verlassen, die im medizinischen Bereich häufig von den Erfahrungen und Meinungen der Dozenten abhängig ist, sondern begann diese Meinungen und Beobachtungen systematisch zu untersuchen und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen.

Das Problem ist nur, dass manche Studien nur schwer durchführbar sind und zum Teil ethische Probleme aufwerfen.

Der sogenannte Goldstandard, wenn es darum geht, Theorien in Studien zu überprüfen, sind sogenannte RCTs (randomized controlled trials) also Studien, bei denen es eine zusätzliche Kontrollgruppe gibt, Patienten werden hierbei zufällig auf die Gruppen aufgeteilt. Idealerweise wissen sowohl Patienten als auch Behandler nicht, welche Patienten in welcher Gruppe sind. Was bei einigen Behandlungsmethoden sehr schwierig ist.

Scheinoperationen zum Beispiel sind ethisch gesehen schwierig (Risiko durch Narkose und Körperverletzung) und vor allem der Operateuer weiß nachher, wen er wirklich operiert hat und wen nicht. Ähnlich schwierig wird das auch im Bereich der Osteopathie. Es mag vielleicht noch klappen, dass der Patient nicht direkt mitbekommt, ob er wirklich eine osteopathische Behandlung erhält oder nicht. Spätestens der Behandler weiß aber, ob er wirklich behandelt oder nicht.

Und hier beginnt in Studien schon das erste Problem, denn aus Placebountersuchungen ist bekannt, dass alleine das Wissen des Therapeuten, ob er ein Placebo verabreicht oder nicht ausreicht, um den Therapieerfolg zu beeinflussen.

Das heißt, ein Vergleich mit einem Placebo wird in diesem Falle schwierig. Was schade ist, denn das Placebo ist eines der am besten erforschtesten „Medikamente“. Auch der Vergleich mit keiner Behandlung wäre oft wünschenswert, allerdings wird es hier ethisch schwierig, wenn ich die aktuelle Standardbehandlung einem Patienten vorenthalte. Viele Patienten werden auch nicht begeistert sein, wenn keine Behandlung stattfindet und wollen, „dass etwas gemacht wird“.

Sinnvoller, als sich dann in Diskussionen zu zerfetzen, welche Behandlungen die besten Studiennachweise haben, wäre es, alle Behandlungsmethoden auf den Prüfstand zu stellen und so gut es möglich ist, in Studien zu überprüfen. Denn das Ziel ist es nicht, dass Methode A oder B nachher besser dasteht, sondern dass wir wissen, welche Methode wann am sinnvollsten in der Behandlung von Beschwerdebildern ist, das ist es, was evidenzbasierte Medizin ausmacht. In vielen Fällen wird das durch die beiden kommenden Punkte abgedeckt.

Der Behandler soll diese Studien nicht selbst erstellen, sondern wissen, wie er sich die Erkenntnise der aktuellen wissenschaftlichen Forschung aneignet, diese deutet und in sein Behandlungen einfließen lässt.

Behandler (klinische Erfahrung/ Expertise)

Die zweite wichtige Säule ist der Behandler und seine Erfahrungswerte. Wir haben uns bereits angesehen, dass Studien zwar eine wichtige Grundlage darstellen, um Behandlungsentscheidungen zu treffen, allerdings lässt sich in Studien nicht alles untersuchen, vor allem wenn man die geltenden ethischen Grundsätze berücksichtigt (wofür ich eindeutig plädiere).

Wichtig ist gerade in diesen Fällen, dass ein Behandler auf seine Erfahrungen zurückgreifen kann und im Zweifel auch ein auf seinen Erfahrungen beruhendes gutes Bauchgefühl entwickelt hat.

Natürlich sollte er aber auch sein Wissen ständig erweitern und selbst hinterfragen, ob seine Behandlungsmethoden die effektivsten sind oder ob er etwas verbessern kann.

Das heißt, er muss sich auf die externe Evidenz durch zum Beispiel RCTs verlassen und auf der anderen Seite auch sich selbst und seine Behandlungen kritisch und systematisch hinterfragen, um hierüber selbst seine Erfahrungen auszuwerten und Evidenz zu erlangen.

Schön finde ich hierbei, dass man als Behandler sich nicht nur auf Studien verlassen soll, sondern auch auf die eigenen Erfahrungswerte und somit nicht versucht wird, eine One-Size-fits-all Lösung zu generieren, von der ich selten ein Freund bin. Im Gegenteil evidenzbasierte Medizin sorgt im Idealfall dafür, dass die Behandlung möglichst individuell ist.

Patient (Erwartungen/ Präferenzen)

Der dritte Baustein im Bereich der evidenzbasierten Medizin bist Du, der Patient. Deine Erwartungen und Präferenzen sollten beeinflussen, wie eine Behandlung aufgebaut wird.

Vielleicht ein oder zwei einfache Beispiele:

Als mein Vater noch berufstätig war, hatte er einen erhöhten Blutdruck. Nicht in einem dramatischen Ausmaß, aber doch so, dass es sinnvoll erschien diesen zu senken. Eine Zeit lang ist er nach Feierabend kurz spazieren gegangen, wenn ich mich richtig erinnere für weniger als eine halbe Stunde. Er hat also ungefähr die Empfehlungen der WHO von 150 Minuten moderater Ausdauertätigkeit erfüllt.

Alleine hierüber schaffte er es, seinen Blutdruck auf ein normales Level zu bringen. Da er persönlich allerdings ein Mensch ist, der eher Tabletten regelmäßig einnimmt, als seinen Lebensstil zu ändern, hielt seine Compliance bzgl. des Spazierengehens nicht lange an und er nahm Tabletten, was er leichter beibehalten konnte.

Für mich persönlich nicht wirklich nachvollziehbar, therapeutisch aber eine Situation, die ich so ähnlich immer wieder erlebe. Aus diesem Grund baue ich in meinen Behandlungen auch relativ viel scheinbaren Smalltalk ein, um Dich als Patient kennenzulernen und besser einschätzen zu können, welche Behandlung für Dich am geeignetsten ist.

Auch finde ich es immer sehr schwierig, wenn jungen Sportler, die im Leistungssport körperliche Beschwerden entwickeln, pauschal geraten wird, einfach einen anderen Sport auszuüben. Das sagt sich als Außenstehender immer sehr leicht und mag vielleicht auch in manchen Situationen das einzig adäquate Mittel sein, um Verletzungen zu vermeiden. Bedenken sollte man allerdings immer, was dahinter steckt.

Wenn ich an meine aktive Leistungssportzeit zurückdenke, erinnere ich mich nicht nur an den Sport und die körperlichen Herausforderungen. Die waren zwar von außen betrachtet vielleicht der wichtigste Punkt, aber es steckt noch unglaublich viel mehr dahinter. Ein Großteil meines Freundeskreises setzte sich aus anderen Ruderern zusammen, die auch Leistungssport betrieben und ich habe dort vermutlich in meiner aktiven Zeit im Leistungssport mehr Zeit verbracht, als mit meiner Familie.

Das soziale Umfeld forciert zu wechseln, gerade in jungen Jahren ist eine Entscheidung, die nicht leichtfällt und wohl getroffen werden sollte. Hier sollte man in der Behandlung erst andere Therapieoptionen ausreizen, bevor man einem Sportler sagt, dass er den Sport wechseln soll.

Komplex wird es auch beim Thema Ernährung. Habe ich beispielsweise einen Patient, der auf tierische Produkte verzichtet (sich vegetarisch oder vegan ernährt), sollte ich das in meinen Ernährungs- und Supplementempfehlungen berücksichtigen. Allerdings wird das in manchen Bereichen schwierig, den beispielsweise eine vegetarische Alternative zu Kollagen ist mir bisher nicht bekannt.

Zwar gibt es Produkte, die viele Kofaktoren enthalten und versuchen, so nah es geht, an Kollagen heranzukommen, es ist allerdings in meinen Augen keine vollwertige Alternative.

Die Zielsetzung ist, dass ich als Behandler mit Dir bespreche, was mögliche Therapieoptionen sind und Dich mit in die Behandlung einbinde, sodass Du im Idealfall eine informierte Entscheidung treffen kannst, welche Therapieoption Du wählst. Kollagen ist zum Beispiel ein Produkt, was manche meiner Patienten, die sich ansonsten vegetarisch oder vegan ernähren, nutzen. Ich habe lediglich die Empfehlung ausgesprochen, die zunächst keine Begeisterung ausgelöst hatte und erklärt, warum ich es für sinnvoll erachten würde. Nach Eigenrecherche wurde dieser Vorschlag tatsächlich häufig umgesetzt.

Wie lässt sich das vereinen?

Kurz vorweggenommen, in unserem Kassensystem nur schwierig. Vor allem der letzte Punkt, die Interaktion mit Dir, dem Patient, benötigt Zeit. Für mich war die Konsequenz, wie ich es auch in diesem Artikel schon einmal beschrieben habe, mich aus dem Kassensystem quasi auszuklinken.

Persönlich benötige ich tatsächlich die eine Stunde, die ich mir pro Termin blocke. Bei komplexen Fällen wird es damit sogar manchmal etwas knapp.

Aber es gibt auch konkrete Möglichkeiten, wie Du als Patient dafür sorgen kannst, dass die Behandlung die vorher genannten Kriterien erfüllt oder Du zumindest überprüfen kannst, ob Dein Behandler sich an diesen orientiert.

Der einfachste Weg ist Fragen zu stellen. Wenn Du etwas nicht verstehst oder Du bestimmte Präferenzen bzgl. einer Therapie hast, sprich es an. Häufig wird es in einer Behandlung schwierig oder man vergisst bestimmte Punkte einfach. Das einfachste ist es, wenn Du Dich zum einen auf die Behandlung etwas vorbereitest und Dir Deine Frage vielleicht sogar aufschreibst. Das mache ich selbst übrigens genau so, sei es als Therapeut oder wenn ich selbst einmal Patient bin.

Idealerweise hast Du auch die Möglichkeit im Nachhinein bei Deinem Behandler nachzufragen. Denn manche Fragen werden sich sicher erst im Nachhinein ergeben. Entweder stellst Du die Fragen dann beim nächsten Mal oder Du kannst Deinen Behandler zum Beispiel per Mail kontaktieren.

Und hierbei solltest Du wirklich auch alle Fragen stellen, die Du hast und bei denen Du davon ausgehst, dass Dein Behandler die Antwort kennen dürfte. Wenn Du nicht verstehst, warum eine bestimmte Behandlung sinnvoll ist hinterfrage auch das bzw. frage nach Alternativen, mit denen Du Dich wohler fühlen würdest.

Wird evidenzbasierte Medizin richtig genutzt, ist das Ziel des Entscheidungsprozesses schließlich, eine für Dich optimale Therapie zu finden, bei der Du auch bereit bist mitzuarbeiten (soweit erforderlich) und die zu Dir passt.

Quellen

(1) https://www.cochrane.de/ueber-uns/evidenzbasierte-medizin (Zugriff am 01.10.2024)

(2) https://www.cochrane.de/entstehung (Zugriff am 02.10.2024)

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Evidenzbasierte_Medizin (Zugriff am 02.10.2024)

(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Semmelweis (Zugriff am 02.10.2024)

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