Das Piriformis Syndrom
Das Piriformis Syndrom wird gerne als Erklärung genutzt, wenn Beschwerden im Bereich des unteren Rückens auftreten oder der Ischiasnerv Probleme macht. Aber stimmt es wirklich, dass ein kleiner Muskel alleine so oft für Beschwerden verantwortlich ist? Wenn ja, woran liegt das und wenn nein, was kann noch dafür verantwortlich sein? Wir schauen uns wie immer zuerst die Anatomie an, gehen über zum Piriformis Syndrom und was das eigentlich bedeutet und schauen uns zum Abschluss an, wie das ganze behandelt werden kann. Anatomie (1, 2, 3) Der Musculus piriformis ist ein Teil der Gesäßmuskulatur und liegt unter dem Musculus gluteus maximus (großer Gesäßmuskel, quasi der Hauptteil des Hinterns, den Du siehst). Sein Ursprung ist am Sakrum (Kreuzbein), dem Ligamentum sacrotuberale (zieht vom Kreuzbein zum Sitzbeinhöcker) und der Gelenkkapsel des Iliosakralgelenks (ISG), von wo aus er zum Trochanter major (der Knochenfortsatz, den Du seitlich am Oberschenkel auf Hüfthöhe spürst) des Oberschenkelknochens zieht. Die Hauptfunktionen des Piriformis ist die Außenrotation der Hüfte. Zudem bewirkt er im Hüftgelenk noch eine Abduktion (seitliches Abgrätschen des Beins), sowie eine Stabilisation und Streckung des Hüftgelenks. (1, 2, 3) Es wird auch diskutiert, ob er ab einer gewissen Beugung (ca. 80°) von seiner Rolle als Außenrotator zum Innenrotator wechselt (1), hierzu findet man in der Literatur aber unterschiedliche Angaben. In seinem Verlauf zieht der Muskel durch das sogenannte Foramen ischiadicum majus (Durchtrittstelle im Beckenbereich, wird nachher beim Piriformis Syndrom wichtig) und unterteilt es in zwei Teile (1). Durch den unteren Anteil zieht unter anderem der Ischiasnerv. Wie genau ist allerdings nicht einheitlich (wie vieles in der Anatomie). Bei ca. 15 % der Bevölkerung zieht ein Teil des N. ischiadicus (N. fibularis) direkt durch den M. piriformis. Bei 85 % der Bevölkerung zieht der Nerv unterhalb des Muskelbauchs entlang und bei 0,5 % oberhalb (3). Das Piriformis Syndrom Mögliche Beschwerden Der Begriff Piriformis Syndrom wurde 1947 erstmals von Dr. Daniel Robinson beschrieben (4). Da er Chirurg war, war sein Behandlungsansatz (wen wundert es) eine Operation. Wenn der Piriformis Beschwerden verursacht, kann es zu verschiedenen Symptomen kommen. Zum einen, wie bei fast allen Muskeln, können Schmerzen lokal auftreten (wenig überraschend), also entweder im Gesäßbereich oder im unteren Rücken. Aufgrund der Nähe zum Ischiasnerv kann es aber auch zu Ischiasbeschwerden kommen, im Rahmen des Piriformis Syndroms. Hierbei handelt es sich dann um ein ähnliches Nervenengpasssyndrom, wie beim Karpaltunnelsyndrom. Gründe können Unfälle sein (Hauptthese von Robinson) oder Überlastungsprobleme, die zu einer dauerhaft erhöhten Anspannung im Muskel führen bzw. auch eine Hypertrophie (Dickenwachstum) des Muskels oder aber ein ungünstiger Verlauf des Ischiasnervs im Vergleich zum Piriformis (5). Testung Das Ziel der Untersuchung ist zum einen anderen Auslöser auszuschließen, wie beispielsweise einen Bandscheibenvorfall oder eine Arthrose der Hüfte und zum anderen die Symptome durch Dehnung oder Anspannung des M. piriformis zu provozieren. Es gibt beispielsweise zwei Provokationstests für den Piriformis. Einer wird in Rückenlage durchgeführt, bei isometrischer Anspannung der Hüfte in Innenrotation und vorheriger passiver Einstellung der Hüfte in Beugung, Adduktion (zur Körpermitte herangeführt) und Außenrotation der Hüfte (6). Der andere Test wird in Seitlage mit 60° Hüftbeugung und Beugung des Knies beim oberen Bein durchgeführt. Hierbei wird das Becken fixiert und das obere Knie nach unten gedrückt (somit in Innenrotation) (6). Hier haben wir also zum einen eine aktive Variante und zum anderen eine rein passive Möglichkeit zum Testen des Piriformis. Häufig liefern aber auch schon die Anamnese und eine allgemeine körperliche Untersuchung gute Hinweise auf die Gesäßmuskulatur allgemein. Persönlich habe ich bis jetzt noch nicht exakt differenzieren müssen, welcher Teil der tiefen Gesäßmuskulatur genau betroffen ist. Behandlung Hier kommt es ein wenig darauf an, welche Symptome im Vordergrund stehen. Wenn der Ischiasnerv mit betroffen ist, würde ich zunächst mit sachten Nervenmobilisationen (Slider) starten, um diesen zu beruhigen. Hierzu habe ich nebenstehend einen Link angefügt. https://youtu.be/1erJjVtv4OQ Wenn ein zu verspannter Piriformis das Problem ist, würde ich in der Behandlung durch zum Beispiel Triggerpunkttherapie ansetzen, was Du zum Beispiel über einen Lacroseball oder Faszienrollen auch selbst versuchen kannst. Da die schmerzhaften Verspannungen aber oft damit zusammenhängen, dass der Muskel überlastet ist, weil er für die geforderten Belastungen nicht genug Kraft hat, sind zusätzliche Kräftigungen oft sinnvoll. https://youtu.be/Px5aLfB6vgQ Hier kannst Du zum Beispiel mit der einbeinigen Brücke oder der Abduktion aus der Seitlage (evtl. mit zusätzlicher aktiver Außenrotation arbeiten) (2). Die Übungen kannst Du auch in den nebenstehenden Videos finden. https://youtu.be/6QyQb0WqEjc Wichtig ist, dass der Piriformis hauptsächlich dann aktiv wird, wenn Du eine Außenrotation der Hüfte halten musst. Zusätzlich wird bei Abduktionsbewegungen (seitliches Abgrätschen) und auch Streckung der Hüfte (Extension) der Muskel gefordert (2). Ergänzend kann es manchmal Sinn machen, mit Dehnübungen zu arbeiten, um hierüber eine Entspannung und Schmerzlinderung zu erzielen. Hierzu ist es am effektivsten, wenn Du die Hüfte zwischen 115 und 120° beugst, 40 -50° Außenrotation (Unterschenkel wird nach innen gedreht) und 25-30° Adduktion (zur Körpermitte hin) einstellst (7). Während der Dehnung solltest Du allerdings darauf achten, dass Symptome, die mit dem Ischiasnerv zusammenhängen, wie Taubheit, Kribbeln nicht auftreten. Sollten diese Symptome durch Dehnübungen oder das Arbeiten mit Lacrosseball bzw. Faszienrolle auftreten, lass sie erstmal weg und sprich mit Deinem Behandler nochmal darüber. Fazit Auch wenn der Piriformis scheinbar prädestiniert ist Probleme hervorzurufen, durch eine Einengung des Ischiasnervs, so denke ich nicht, dass er immer der alleinige verantwortliche ist und in dieser Hinsicht etwas überschätzt wird. Er wird mit Sicherheit oft einen Anteil zu den Beschwerden beitragen, sie allerdings nicht alleine verursachen. https://youtu.be/WvwbWimMej0 Zum Podcast Quellen (1) https://flexikon.doccheck.com/de/Musculus_piriformis (2) https://www.physiomeetsscience.net/uebungsformen-zur-aktivierung-der-kurzen-hueftrotatoren-teil1-m-piriformis/ (3) Schünke, M., Schulte, E., Schumacher, U., Voll, M.,, Wesker, K. (2007). Prometheus, LernAtlas der Anatomie, Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Stuttgart: Thieme. (4) ROBINSON D. R. (1947). Pyriformis syndrome in relation to sciatic pain. American journal of surgery, 73(3), 355–358. https://doi.org/10.1016/0002-9610(47)90345-0 (5) https://www.physiomeetsscience.net/deep-gluteal-pain-syndrome-das-tiefe-glutealsyndrom-im-kontext-des-extra-arktikulaeren-hueftimpingements-teil-1/ (6) https://www.physiomeetsscience.net/deep-gluteal-pain-syndrome-das-tiefe-glutealsyndrom-im-kontext-des-extra-arktikulaeren-hueftimpingements-teil-2/ (7) https://www.physiomeetsscience.net/die-biomechanisch-optimale-dehnung-des-m-piriformis/ Disclaimer Im Text befinden sich sogenannte Affiliate-Links zu Amazon. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen. Für Dich kommt es hierbei zu keinen Mehrkosten, es unterstützt mich lediglich in meiner Arbeit. Etienne RiesWie Du vielleicht schon mitbekommen hast, ist mein Name Etienne Ries. Ich bin Heilpraktiker, Osteopath und Physiotherapeut und schon von klein auf vom menschlichen Körper fasziniert. Nachdem ich mehrere Jahre als angestellter Physiotherapeut gearbeitet habe, habe ich mir 2021 den Traum der eigenen