Überraschendes über das Schleudertrauma
Nachdem wir uns letzte Woche angeschaut haben, was das HWS Syndrom ist, widmen wir uns heute direkt einem weiteren Beschwerdebild der Halswirbelsäule, was allerdings etwas konkreter ist. Die Rede ist vom Schleudertrauma. Auch beim Schleudertrauma gibt es, ähnlich wie beim HWS Syndrom, viele Missverständnisse und Mythen. Da auch die entsprechende Leitlinie (1) die Bedeutung der Edukation (Aufklärung) betont. Möchte auch ich Dir hiermit weiterhelfen. Wir schauen uns zum einen an, was das Schleudertrauma eigentlich genau ist und was im Körper passiert. Zudem erfährst Du, was mögliche Behandlungsansätze sind und warum so viele Missverständnisse entstehen. Definition Der vermutlich bekannteste Auslöser für ein Schleudertrauma dürften vermutlich Auffahrunfälle sein. Aber was passiert eigentlich bei den Unfällen, dass im Nachhinein Beschwerden auftreten? Um zu verstehen, was das Schleudertrauma eigentlich ist, schauen wir uns zunächst mal die englische Bezeichnung für dieses Beschwerdebild an, denn hier steckt schon eine gute Beschreibung drin: whiplash associated disorder (WAD) oder auch whiplash injury. Wichtig scheint also vor allem das Wort whiplash zu sein, was auf Deutsch unter anderem Peitschenhieb bedeutet. Über diese Übersetzung lässt sich auch bereits gut erkennen, welcher Mechanismus die Beschwerden auslöst. Die schnelle vor und zurück Bewegung der Halswirbelsäule (ähnlich einem Peitschenhieb), zu der es unter anderem bei Auffahrunfällen kommen kann, wird allgemein als Auslöser definiert. Was allerdings nicht ganz so klar ist, welche Strukturen die Beschwerden nachher auslösen. Man geht davon aus, dass die Facettengelenke (kleine seitliche Gelenke an der Wirbelsäule) die Schmerzen auslösen (2). Ein weiterer möglicher Auslöser der Beschwerden, der diskutiert wird, sind entzündlich-reparative Gewebeschädigungen (1). In der Bildgebung sind meistens aber keine Verletzungen erkennbar, sodass diese meist keine große Bedeutung in der Diagnostik des Schleudertraumas haben dürfte (1,2). Dies stellt auch schonmal eine gute Nachricht dar, denn es muss strukturell nichts heilen und die früher beliebte Halskrause, wird heutzutage nur noch in seltenen Fällen empfohlen (1). Aber hierzu kommen wir bei der Therapie noch einmal. Viele Patienten erreichen innerhalb von 32 Tagen eine Beschwerdefreiheit, wenn die Schwere der Symptome zwischen Grad I bis III auf der Skala der Québec Task Force (QTF) sind. Die Skala findest Du übrigens weiter unten zum Nachlesen. Ungefähr 12 % der Patienten sind nach 6 Monaten noch nicht beschwerdefrei (1). Da es auch Untersuchungen gibt, die zeigen, dass Beschwerden auftreten können, wenn ein „Placebounfall“ stattfand (3), ist die Frage, inwieweit eine strukturelle Beschädigung wirklich der Auslöser der Beschwerden ist oder ob nicht das biopsychosoziale Modell hier bessere Erklärungsansätze liefern kann. Als Gründe für eine Chronifizierung werden beispielsweise Rechtsstreitigkeiten, Psychosen bis hin zu psychiatrischen Erkrankungen vermutet. (4) Symptome Was ich bei den Symptomen des Schleudertraumas immer spannend finde, dass diese oft nicht unmittelbar eintreten, sondern innerhalb eines Zeitraums von einigen Stunden bis Tagen betragen kann. (5) Wenn Du schonmal ein Schleudertrauma hattest oder zumindest das Beschwerdebild etwas kennst, dann sind die folgenden Symptome vermutlich nichts Neues für Dich, denn es sind die typischen Symptome (5): Nackenschmerzen Steifheitsgefühl im Nacken Kopfschmerzen Schwindel Zusätzlich kann es aber auch zu folgenden Beschwerden kommen(5): Schluckstörungen Schlafstörungen Seh- und Hörstörungen, teilweise auch Tinnitus Hypästhesien (verminderte Sensibilität) oder Parästhesien (unangenehme Empfindungen, wie starkes Kribbeln) im Gesicht oder der oberen Extremität Selten kommt es zu stärkeren, neurologischen Beschwerden, wie Vigilanzstörung (reduzierte Aufnahmefähigkeit), Desorientiertheit oder Gangunsicherheit (5). Welche Symptome auftreten, muss übrigens nicht unbedingt mit der Schwere des Unfalls zusammenhängen (3). Einteilung Schweregrade Schleudertrauma Zur Unterscheidung der Schwere wird unter anderem die sogenannte Québec Task Force (QTF) genutzt. Hier werden vier Schweregrade unterschieden, die Du in der nebenstehenden Tabelle ablesen kannst. (5) Es gibt aber auch eine erweitere Stadieneinteilung, die etwas differenzierter ist und zudem auch die schwerstmögliche Folge eines Verkehrsunfall (den Tod) beinhaltet (1). Auch diese Tabelle habe ich Dir als Bild beigefügt. Therapie Je nachdem, wie aktuell Dein Wissensstand zum Thema Schleudertrauma ist, gibt es hier eine kleine Überraschung für Dich. Früher gab es für fast jeden Patienten nach einem Verkehrsunfall eine Halskrause. Man ging damals auch unter anderem davon aus, dass Bänder im Bereich der Halswirbelsäule verletzt seien und wollte durch die Ruhigstellung bessere Heilungsbedingungen schaffen. Leider hat man im Laufe der Zeit gemerkt, dass es über die Halskrause eher zu chronischen Verläufen kam, vor allem wenn diese besonders lange getragen wurde. Mittlerweile ist der Standard, Patienten möglichst früh wieder in die Aktivität zu verhelfen (1). Hierzu ist es natürlich wichtig, dass vorher ausgeschlossen wurde, dass in der Untersuchung nach dem Unfall ausgeschlossen wurde, dass ernsthafte Verletzungen vorliegen, wozu Bildgebung je nach Unfallhergang sinnvoll sein kann. Ob dann eher Krafttraining oder sogenanntes sensomotorisches Training wichtiger ist, ist von Deinem individuellen Fall abhängig und sollte in Absprache mit Deinem Therapeuten entschieden werden (4). In der Behandlung schaue ich mir unter anderem die Kraftausdauer der vorderen Halsmuskulatur an, da diese sehr häufig, vor allem nach Unfällen, zu einer Schwäche neigt und Beschwerden verursachen oder verstärken kann. Den Krafttest bzw. zwei Übungen, um die Kraftausdauer zu verbessern, kannst Du in nebenstehendem Video finden. Da man mittlerweile vielfach davon ausgeht, dass psychische Faktoren eine Rolle bei der Chronifizierung spielen (1, 2, 3, 4, 6), sollten diese möglichst früh behandelt werden, wenn Hinweise darauf vorliegen. In diesem Zusammenhang empfiehlt die Leitlinie auch, dass eventuelle Rechtsstreitigkeiten möglichst früh beigelegt werden sollten und Patienten möglichst früh wieder ihrem Beruf nachgehen sollten (1,2). Auch ein Ansatz, bei dem zusätzlich ein besserer Umgang mit Stress trainiert wird, durch eine Kombi aus Achtsamkeits- und Entspannungsübungen zeigte bei chronischen Schleudertraumapatienten eine signifikante Besserung der Beschwerden (6). Schmerzmittel können im individuellen Fall auch sinnvoll sein, sollten aber auf jeden Fall mit Deinem Behandler abgesprochen werden, denn sie bringen nicht nur Vorteile mit sich. Da auch die Psyche und Stress wichtige Ansatzpunkte in der Behandlung darstellen, können sich je nach Patient auch osteopathische Behandlungen anbieten. Da hier auch sehr sanft gearbeitet werden kann, ist es dieser Ansatz meiner Erfahrung nach, vor allem bei nervösen oder auch ängstlichen Patienten sinnvoll. Man kann sich hier gemeinsam an Bewegungen herantasten und auch an einem vegetativen Ausgleich arbeiten. Fazit Das Schleudertrauma ist ein gutes Beispiel dafür, dass nicht nur körperliche Ursachen alleine zu Beschwerden führen können. Wichtig ist bei jedem Patienten individuell zu prüfen, wo die Ursache liegt und
HWS Syndrom – ist das schlimm?
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich kein großer Freund von Syndromen als Diagnose bin? Auch wenn viele Patienten das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie mit einem Syndrom eine genaue Diagnose ihrer Probleme hätten, so ist das nicht der Fall. Das HWS Syndrom bildet hier keine Ausnahme. An sich ist das HWS Syndrom nämlich ein Sammelbegriff für verschiedener Diagnosen, die von der Halswirbelsäule ausgehen oder die Halswirbelsäule betreffen. In diesem Artikel kannst Du erfahren, was die „Diagnose“ HWS Syndrom eigentlich bedeutet, welche Symptome auftreten können und was das für die Behandlung bedeutet. Zudem erfährst Du, was mein Problem mit Syndromen ist und auch, warum ich diese und ähnliche Diagnosen trotzdem selbst häufig nutze. Was ist eine Diagnose? Das Wort Diagnose kommt vom griechischen Wort diágnosis, was auf Deutsch soviel heißt wie Unterscheidung oder Entscheidung. Sie stellt das Ergebnis der Feststellung einer Krankheit dar. (1,2) Die Diagnose bildet somit den Abschluss bzw. das Ergebnis der Untersuchung und führt uns zu einer entsprechenden Behandlung der Problematik. Je genauer die Diagnose gestellt werden kann, desto konkreter lässt sich auch eine Behandlung planen. (1,2) Wenn Du jetzt überlegst, wie schnell oft eine Diagnose gestellt wird, wenn Du beim Hausarzt oder auch Orthopäden bist, was denkst Du, wie genau kann diese Diagnose sein? Als kleine Zusatzinfo für diese Überlegung: Im Durchschnitt verbringen Patienten in Deutschland ca. 7,6 Minuten beim Allgemeinmediziner. (3) Überleg einfach mal kurz, was Du in 7 Minuten erledigen kannst. Denkst Du, es ist realistisch, Dir in dieser Zeit ein Problem schildern zu lassen, eine Untersuchung durchzuführen und dem Patienten zu erklären, was sein Problem ist und welche Behandlung dementsprechend die richtige ist? Ich persönlich halte das in vielen Fällen für sportlich und brauche deutlich länger. Selbst in den USA liegt die durchschnittliche Zeit beim Allgemeinmediziner übrigens bei 21,1 Minuten (3) und das obwohl (vielleicht auch gerade weil) dieses Gesundheitssystem oft als weniger sozial als unseres beschrieben wird. Was ist das HWS Syndrom? Das HWS Syndrom ist, wie viele Syndrome, eine Sammelbezeichnung für Beschwerden. In diesem Falle von Beschwerden, die die die Halswirbelsäule betreffen oder die von der Halswirbelsäule ausgehen. Hierbei kann es sich um orthopädische oder auch neurologische Symptome handeln. (4) Eigentlich ist es üblich, dass die Diagnose HWS Syndrom als Ausschlussdiagnose genutzt wird, wenn keine größeren Schäden, wie ein Bandscheibenvorfall oder andere konkrete Diagnosen vorliegen. Da es allerdings keine exakte Definition gibt, ist es per se eine schlau klingende Beschreibung von Beschwerden, die von der Halswirbelsäule ausgehen oder diese betreffen. In manchen Fällen kann es auch eine Verlegenheitsdiagnose sein, weil man nichts Konkretes gefunden hat, was die Beschwerden auslöst, die Ursache aber im Bereich der Halswirbelsäule zu liegen scheint. Was kann alles eine Ursache sein? Wenn wir uns mal auf DocCheck (ähnlich Wikipedia für den Medizinbereich) anschauen, welche Ursachen aufgeführt werden, für ein HWS Syndrom (4), dann finden wir hier eigentlich fast alles von harmlosen bis hin zu zeitnah behandlungsbedürftigen Gründen. Kursiv geschrieben findest Du meine Ergänzungen: Degenerative Veränderungen der HWS (Spondylose, Osteophyten) Schleudertrauma (HWS-Distorsion) Funktionelle Verspannung der Nackenmuskulatur Zervikaler Bandscheibenvorfall (selten) Tumoren Wirbelsäulenoperationen Facettensyndrom (ausgelöst durch die kleinen seitlichen Gelenke der Wirbelsäule) Segmentale Dysfunktionen („Blockierung“) Osteochondrose (diverse Verschleißerscheinungen) Ich persönlich würde aber auch Gründe wie Stress hier mit aufnehmen. Denn gerade bei Stress kommt es zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung und vermehrten Verspannungen im Nackenbereich. Auch Unfälle oder Überlastung können eine Rolle spielen. Welche Symptome können beim HWS Syndrom auftreten? Auch hier haben wir eine riesige Palette, wenn wir uns das ganze auf DocCheck anschauen (4): Hals- bzw. Nackenschmerzen, häufig mit Ausstrahlung in den Arm Myogelosen (Verspannungen in der Muskulatur) Schwindel Kopfschmerzen Parästhesien, Hypästhesien (Kribbeln, Taubheitsgefühl) Sehstörungen Ohrgeräusche Allerdings verwundert das auch nicht sonderlich, denn es handelt sich wie schon beschrieben um einen Sammelbegriff für alles, was von der Halswirbelsäule an Beschwerden ausgehen kann. In den meisten Fällen sind meiner Erfahrung nach aber Hals- bzw. Nackenbeschwerden das vorliegende Problem. Theoretisch würde sich diese Liste übrigens noch erweitern lassen, da die meisten Nerven vom Gehirn ausgehend durch den Spinalkanal der Wirbelsäule ziehen. So ist es möglich, dass auch Probleme im Bereich der Halswirbelsäule die Ursache für weiter unten auftretende Probleme darstellen können. Das kommt allerdings eher selten vor und spätestens in solchen Fällen würde man das ganze auch meistens nicht mehr als HWS Syndrom diagnostizieren. Um es mal kurz ganz extrem zu machen, ein Genickbruch und die daraus resultierenden Folgen könnte man auch als HWS Syndrom bezeichnen. Denkst Du aber, dass das jemand machen würde? Wie wird das HWS Syndrom behandelt? Die Frage lässt sich an dieser Stelle nicht pauschal beantworten, denn es kommt immer auf die genaue Ursache an. Ist ein Schleudertrauma und eine daraus entstehende Abschwächung der Muskulatur Auslöser eines Schwindels? Dann sollte hauptsächlich die entsprechende Muskulatur gekräftigt werden. Ist Stress der primäre Auslöser für Schmerzen und Verspannungen? Dann solltest Du an Deinem Stresslevel arbeiten. Ein Bandscheibenvorfall sollte wiederum anders behandelt werden, als eine Irritation des Nerven durch Veränderungen im Bereich der Fazettengelenke oder auch Symptome die nach einem Karpaltunnelsyndroms aussehen, aber durch etwas anderes im Bereich der Halswirbelsäule verursacht werden. Für die Schmerzen und Verspannungen können erfahrungsgemäß manualtherapeutische oder osteopathische Techniken einen Ansatz darstellen und die Beschwerden lindern. Für Nervenbeschwerden können häufig auch Nervenmobilisationen, sogenannte Slider hilfreich sein. Dies sollte aber immer mit dem Behandler abgesprochen werden. Du siehst, die Behandlung des HWS Syndroms ist vor allem abhängig von Deinen konkreten Beschwerden. Da es sich meistens um eher harmlose Ursachen handelt, lassen diese sich auch meistens gut behandeln. Welche Probleme können durch solche Diagnosen entstehen? Wenn das jetzt aber nur ein schwammiger Begriff ist, der mehr oder weniger eine Ausschlussdiagnose darstellt, wieso habe ich dann ein Problem damit? Wenn Du nach dem ICD Code, der auch für das HWS Syndrom verwendet wird, suchst (M54.2) dann wirst Du unter anderem auf Seiten landen, wie gesund.bund.de (eine Seite des Bundesministeriums für Gesundheit), die unter diesem Code nur die Zervikalneuralgie aufführen. Bei der Zervikalneuralgie entstehen die Beschwerden über eine Reizung der Nerven. Sobald Patienten hören, dass es um Nerven und mögliche Schädigungen geht, wird das Alarmsystem meist hochgefahren und die Schmerzsensibilität steigt. Das Resultat kann dann eine Steigerung der Schmerzen sein. Hierzu gibt es