In früheren Artikeln haben wir uns bereits angesehen, wie sich Sehnenprobleme zum Beispiel durch einen Golferellenbogen oder Läuferknie bemerkbar machen können. Allerdings haben wir uns noch nicht im Detail angesehen, wie ein gezieltes Sehnentraining ablaufen sollte, um die Beschwerden effektiv loswerden zu können.
In diesem Artikel schauen wir uns gemeinsam an, warum Sehnen anders trainiert werden müssen, als Muskulatur und wie ein Sehnentraining gestaltet werden sollte. Auch gehe ich darauf ein, warum Dehnen manchmal kontraproduktiv sein kann. Wenn Dich nur die Trainingsparameter interessieren, dann kannst Du auch über das Inhaltsverzeichnis zum Abschnitt „Isometrisch oder dynmaisch? Zwei Wege zum Ziel im Sehnentraining“ springen und abkürzen.
Warum tut’s immer noch weh?
Sehnenschmerzen gehören zu den hartnäckigsten Beschwerden im Bewegungsapparat. Ob an der Achillessehne, der Patellasehne, im Ellenbogen oder in der Schulter: Vielleicht gehörst auch Du zu den vielen Betroffenen die gefühlt bereits alles versucht haben – Dehnen, Schonen, ein bisschen Bewegen – doch der Schmerz bleibt. Die Enttäuschung ist groß und die Verunsicherung wächst: „Was mache ich falsch?“
Die überraschende Antwort: Sehnen brauchen gezielte, kräftige Reize, um sich zu regenerieren. Einfach nur Schonung reicht in den seltensten Fällen. Sie kann zwar manchmal einen leichteren Einstieg bieten, um die Schmerzen zu lindern, langfristig ist allerdings ein gezieltes Sehnentraining einer der wichtigsten Punkte.
Was Sehnen wirklich brauchen, um sich zu verändern
Sehnen bestehen aus straffem Bindegewebe und sind deutlich schlechter durchblutet als Muskeln. Ihr Stoffwechsel ist langsamer, ihre Reaktionszeit auf Trainingsreize entsprechend träge. Wenn Du glaubstt, ein paar einfache Mobilisationsübungen würden ausreichen, wirst Du oft enttäuscht. Es braucht intensive, wiederholte Reize – allerdings ohne die Schmerzschwelle zu überschreiten.
Hier kommt das Prinzip der schmerzfreien Maximalkraft ins Spiel: Die Belastung soll fordernd sein, aber nicht zu viel werden. Das bedeutet: Du trainierst nahe an Deiner Grenze, aber immer so, dass Du Dich dabei sicher fühlst. Regelmäßigkeit und Geduld sind hier entscheidend. Eine kurzfristige Lösung gibt es nicht, dafür aber nachhaltige Ergebnisse, wenn Du dranbleibst.
In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, dass Patienten vor allem Klarheit brauchen: Was darf ich tun? Was sollte ich lassen? Und ja, das hohe Gewicht ist richtig und sinnvoll, das 1 Kilo Gewicht für Beinübungen wird nicht reichen.
Als Therapeut begleite ich Dich dabei gern mit einem individuell abgestimmten Trainingsplan, der nicht nur auf Deine Beschwerden, sondern auch auf Deine Alltagssituation und Deine Belastbarkeit Rücksicht nimmt. Oft braucht es anfangs vor allem eines: Sicherheit. Zu wissen, was Du Deinem Körper zutrauen kannst, macht einen großen Unterschied.
Isometrisch oder dynamisch? Zwei Wege zum Ziel im Sehnentraining
Beim isometrischen Training wird die Muskulatur angespannt, ohne dass eine Bewegung stattfindet. Zum Beispiel, indem du gegen eine Wand drückst oder eine Position unter Spannung hältst. Diese Methode ist besonders am Anfang geeignet, wenn die Sehne empfindlich reagiert, erfahrungsgemäß ist das isometrische Training hier oft besser verträglich.
Ich orientiere mich zu Beginn meist an an den folgenden Trainingsparametern, die ich aus dem Buch Diagnose Sportunfähig von Chris Eikelmeier (2021) entnommen habe. Die Parameter sind auch der sogenannten Berliner Methode sehr ähnlich, also den Ergebnissen der Studien von Arampatzis et al.
Das dynamische und isometrische Training haben eine klare Gemeinsamkeit, Du trainierst alle 3 bis 4 Tage, denn Deine Sehnen brauchen eine ausreichend lange Pause nach dem Sehnentraining.
Beim isometrischen Training führst Du idealerweise 3 Sätze durch mit je 5 Anspannungen zu 3 Sekunden und 3 Sekunden Pause zwischen den Anspannungen. Nach den 5 Anspannungen machst Du eine Pause von bis zu 2 Minuten. Die Intensität liegt bei ca. 90% der schmerzfreien Maximalkraft. Das Gewicht darf und soll also hoch sein.
Das dynamische Training sollte möglichst langsam durchgeführt werden, also mit ungefähr 4 Sekunden für jede Auf- und Abbewegung (exzentrische und konzentrische Phase). Hier werden 3 bis 4 Sätze zu je 3 bis 4 Wiederholungen durchgeführt. Die Satzpause liegt hierbei bei 30 bis 60 Sekunden und die Intensität bei 60 bis 90% der schmerzfreien Maximalkraft.
Vergleich: Verschiedene Trainingsansätze im Sehnentraining
Methode | Belastungstyp | Wiederholungen & Sätze | Intensität | Satzpause |
---|---|---|---|---|
Isometrisch | Halten unter Spannung | 3 Sätze à 5 Anspannungen zu 3 Sekunden, mit 3 Sekunden Pause | ca. 90 % der schmerzfreien Maximalkraft | bis 2 Minuten |
Dynamisch | Langsame Bewegung mit Last | 3–4 Sätze à 3–4 Wiederholungen, Geschwindigkeit ca. 4 Sekunden für jede Auf- und Abbewegung | 60–90 % der schmerzfreien Maximalkraft | 30 bis 60 Sekunden |
Diese Tabelle zeigt, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt – sondern vielfältige erprobte Möglichkeiten, das Sehnentraining individuell anzupassen. Je nach Phase, Reizzustand und Zielsetzung kann die richtige Methode ausgewählt und kombiniert werden.
Wann welche Methode sinnvoll ist? Isometrisch ist in der Anfangsphase häufig etwas besser verträglich. Dynamisch ist meistens näher dran, an den alltäglichen Belastungen und somit oft ein wichtiges Zwischenziel bzw. erleichtert den Übergang vom Sehnentraining zu den alltäglichen Belastungen.
In der Behandlung können wir gemeinsam herausfinden, welche Form des Sehnentrainings für Dich gerade am besten passt – und wie Du Fortschritte erkennst, ohne Dich zu überfordern.
Manchmal genügt schon eine kleine Veränderung in Tempo, Ausführung oder Übungsauswahl, um den entscheidenden Unterschied zu machen. In der Therapie prüfen wir gemeinsam, wie Deine Sehne aktuell reagiert und welche Methode zu Dir passt.
Was Studien uns lehren über effektives Sehnentraining
🧠 Schaukasten: Die Entwicklung des modernen Sehnentrainings
Die Idee, Sehnen gezielt durch Belastung zu stärken, hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Hier ein kurzer Überblick über einige Meilensteine:
- 1984 – Curwin & Stanish: Erste systematische Ansätze mit exzentrischem Training (3×10 Wdh.) zur Behandlung von Tendinopathien. Sie legten den Grundstein für spätere Belastungsprotokolle.
- 1998 – Alfredson-Protokoll: Exzentrisches Wadentraining mit hoher Wiederholungszahl für Achillessehnenbeschwerden – revolutionär einfach, aber effektiv.
- 2001 – Silbernagel et al.: Kombiniertes Trainingsmodell (konzentrisch → exzentrisch → plyometrisch), das dynamisch an die Heilungsphasen angepasst wird.
- 2010er – Heavy Slow Resistance Training (HSR): Auf Basis der Studie von Beyer et al. (2015) entstand ein Trainingsansatz mit langsamer, kontrollierter Belastung bei hoher Intensität. HSR gilt als besonders alltagstauglich, patientenfreundlich und zeigt in Studien vergleichbare oder bessere Ergebnisse als klassische exzentrische Protokolle.
Diese Entwicklungen zeigen: Wir wissen heute mehr denn je darüber, wie Sehnen auf Reize reagieren – und wie wichtig es ist, die Trainingsform an die individuelle Situation anzupassen.
Die Forschung hat in den letzten Jahren wichtige Erkenntnisse über Sehnentraining gebracht. Das Alfredson-Protokoll etwa setzte erstmals auf exzentrisches Wadentraining mit hoher Wiederholungszahl – und hatte großen Erfolg bei Achillessehnenbeschwerden. Schon 1984 beschrieben Curwin und Stanish ein strukturiertes exzentrisches Training mit 3 Sätzen zu je 10 Wiederholungen, das gezielt auf die Belastbarkeit der Sehne abgestimmt war. Später zeigten Studien von Silbernagel et al. (2001), dass ein progressiver Trainingsansatz – beginnend mit konzentrischen Bewegungen, dann übergehend zu exzentrischen bis hin zu plyometrischen Übungen – in 2 bis 3 Sätzen mit 10 bis 20 Wiederholungen besonders wirksam sein kann. Diese Kombination aus Belastungssteigerung und Vielfalt der Trainingsformen erwies sich als besonders effektiv, insbesondere wenn sie über längere Zeit durchgeführt wurde.
Interessant ist: Nicht die Anzahl der Wiederholungen, sondern die Qualität und Dosierung der Reize ist entscheidend. Moderne Konzepte wie das Heavy Slow Resistance Training kombinieren langsame, kontrollierte Bewegungen mit hoher Intensität. Sie bieten eine gute Alternative für Menschen, die nicht täglich trainieren können oder wollen. Der Schlüssel liegt immer in der Anpassung an Deine persönliche Belastbarkeit und Dein Beschwerdebild.
Verletzungen bzw. Überlastungen von Sehnen führen dazu, dass sich Kollagen Typ III (eine Art Vorläuferstufe) bildet, anstatt dem stabileren und dickeren Typ I, zudem kommt es in diesem Fall zu einer „wirren“ Ausrichtung der Kollagenfasern (stell Dir das so ein bisschen wie ein Wollknäuel vor). Das intensive Training führt unter anderem dazu, dass der Körper Reize erhält, um Typ I Kollagen zu bilden und „entwirrt“ die Kollagenfasern.
Was (nicht) hilft – und was sinnvoll ergänzt
Dehnen wird oft als Allheilmittel angesehen, kann bei gereizten Sehnen aber sogar kontraproduktiv sein. Besonders, wenn die Dehnung in den Schmerz hinein geht, kann dies die Beschwerden verstärken. Stattdessen sollte gezieltes Krafttraining im Vordergrund stehen.
Stell Dir das ganze ungefähr so vor, ein Teil der Sehne ist es nicht mehr gewohnt einer Zugbelastung (durch Anspannen der Muskulatur) standzuhalten. Wenn Du jetzt noch eine Dehnung oben drauf setzt, dann kann das schnell zu viel werden. Das Training kann zwar auch zu einer zu dieser Art von Belastung bzw. Überlastung führen, allerdings setzt dieses Training auch einen passenden Reiz, damit sich die Strukturen langfristig anpassen. Wichtig ist hier wie immer die passende Intensität, ich möchte Dich an dieser Stelle nochmal kurz an das Prinzip der Superkompensation erinnern.
Nahrungsergänzungsmittel können das Sehnentraining sinnvoll unterstützen. Studien zeigen, dass Kollagenhydrolysat in Kombination mit Vitamin C etwa eine Stunde vor dem Training die Kollagensynthese anregen kann. Über das Kollagen erhält Dein Körper die nötigen Baustoffe, um Sehnengewebe aufzubauen und das Vitamin C ist notwendig, um diese Bauprozesse in Gang zu bringen. Auch Omega-3-Fettsäuren, Bromelain und Vitamin D können eine eine wichtige Rolle in der Heilung und Regeneration von Sehnengewebe darstellen.
Persönlich und in der Arbeit mit Patienten nutze ich aber am liebsten ein Kombipräparat, wie Yggdrasil von Goetterspeise.
Passive Therapien wie Massage (auch mit Faszienrollen), Ultraschall oder manuelle Techniken (in der Physiotherapie oder Osteopathie) können begleitend hilfreich sein, sollten aber nicht als alleinige Maßnahme betrachtet werden. Sie lindern Symptome, setzen aber keinen Reiz zur Gewebeveränderung. Die aktive Arbeit bleibt entscheidend.
In der Praxis nehme ich mir auch Zeit, diese Fragen individuell zu besprechen. Denn nicht alles, was theoretisch möglich ist, passt zu Deinem aktuellen Zustand. Manchmal ist weniger mehr – aber gezielt dosiert.
Vertrau in den Prozess – und in Deine Kraft
Sehnen verändern sich langsam – aber sie verändern sich. Die Voraussetzung: Du gibst ihnen die richtigen Signale. Das braucht Geduld, Vertrauen und manchmal auch professionelle Begleitung. Schmerzen verschwinden nicht durch Abwarten, sondern durch ein strukturiertes, individuell angepasstes Training.
Vertrau darauf: Dein Körper ist lernfähig. Mit dem richtigen Reiz zur richtigen Zeit kannst du Deine Sehnen stärken, die Beschwerden reduzieren und wieder mehr Lebensqualität gewinnen. Es ist okay, wenn Du unsicher bist. Viele meiner Patienten beginnen ihr Training mit Skepsis – und sind nach einigen Wochen überrascht, wie stabil sie sich fühlen. Ich begleite Dich gern auf diesem Weg – Schritt für Schritt.
Quellen:
- Eikelmeier, C. (2023). Diagnose sportunfähig!? Der Ratgeber für evidenzbasierte Rehabilitations- und Ernährungsstrategien bei Verletzungen und Schmerzen. Anröchte: Chris Eikelmeier.
- Curwin, S. L., & Stanish, W. D. (1984). Tendon injuries: Basic science and clinical medicine. Toronto: Williams & Wilkins.
- Silbernagel, K. G., Thomeé, R., Thomeé, P., & Karlsson, J. (2001). Eccentric overload training for patients with chronic Achilles tendon pain—a randomized controlled study with reliability testing of the evaluation methods. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 11(4), 197–206.
- Beyer, R., Kongsgaard, M., Hougs Kjær, B., Øhlenschlæger, T. O., Kjær, M., & Magnusson, S. P. (2015). Heavy slow resistance versus eccentric training as treatment for Achilles tendinopathy: a randomized controlled trial. The American Journal of Sports Medicine, 43(7), 1704-1711.
- Rio, E., Kidgell, D., Purdam, C., Gaida, J., Moseley, G. L., & Cook, J. (2015). Isometric exercise induces analgesia and reduces inhibition in patellar tendinopathy. British Journal of Sports Medicine, 49(19), 1277-1283.
- Alfredson, H., Pietilä, T., Jonsson, P., & Lorentzon, R. (1998). Heavy-load eccentric calf muscle training for the treatment of chronic Achilles tendinosis. The American Journal of Sports Medicine, 26(3), 360-366.
- Bohm, S., Mersmann, F., & Arampatzis, A. (2015). Human tendon adaptation in response to mechanical loading: a systematic review and meta-analysis of exercise intervention studies on healthy adults. Sports Medicine – Open, 1(1), 7.
- Tam, K. T., & Baar, K. (2025). Using load to improve tendon/ligament tissue engineering and develop novel treatments for tendinopathy. Matrix biology : journal of the International Society for Matrix Biology, 135, 39–54. https://doi.org/10.1016/j.matbio.2024.12.001
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Wie Du vielleicht schon mitbekommen hast, ist mein Name Etienne Ries.
Ich bin Heilpraktiker, Osteopath und Physiotherapeut und schon von klein auf vom menschlichen Körper fasziniert. Nachdem ich mehrere Jahre als angestellter Physiotherapeut gearbeitet habe, habe ich mir 2021 den Traum der eigenen Praxis erfüllt und habe mich hier auf die Arbeit mit Schmerzpatienten und Sportlern spezialisiert. Wie Du im Blog merken wirst, sind das aber nicht meine ausschließlichen Behandlungsfelder. Zur Terminbuchung kommst Du übrigens bequem hier.
Diese Faszination versuche ich sowohl in meiner Arbeit an meine Patienten weiterzugeben, als auch mittels des Blogs und anderer Social Media Formate, wie YouTube…
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