Ich glaube, es gibt wenig Übungsformen, die sich auf den ersten Blick so stark unterscheiden, wie Dehnen und Krafttraining. Dehnen wird meist zum Lockern und Entspannen genutzt, wohingegen Krafttraining eher mit Ermüdung oder auch Anspannung der Muskulatur verknüpft wird.
Gerade im Zusammenhang mit Schmerzen oder genauer gesagt der Linderung von Schmerzen, ist vielen von Euch Dehnen vermutlich bekannt und Krafttraining wird bei Schmerzen eher gemieden. Wir haben uns in der Vergangenheit auch schon angeschaut, wie Dehnen zur Schmerzlinderung führen kann. Hartnäckig hält sich leider der Mythos, dass Krafttraining bei Schmerzen schädlich sei und diese noch weiter verschlimmern könne und ja, wenn es falsch eingesetzt wird, ist das definitiv so.
Aber wusstest Du, dass auch Dehnen Schmerzen verstärken kann und dass Krafttraining mittlerweile als eine der wichtigsten Ansätze für eine Behandlung von Schmerzen angesehen wird? In diesem Artikel werden wir uns anschauen, wann Dehnen und wann Krafttraining sinnvoller ist und was die jeweiligen Vorteile dieser zunächst gegensinnig erscheinenden Ansätze sind.
Wir schauen uns hierzu zunächst an, welche Vor- und Nachteile welcher Ansatz bietet, um dann entscheiden zu können, welcher Ansatz am sinnvollsten ist bzw. ob sich beide nicht ergänzen können.
Dehnen
Unter der Dehnung eines Muskels wird vereinfacht gesagt verstanden, dass Ansatz und Ursprung voneinander entfernt werden, sodass der Muskel auf Länge gebracht wird. Ab einem gewissen Punkt entsteht hierdurch der typische Dehnreiz. Es gibt mehrere verschiedene Formen von Dehnübungen, wie wir uns bereits hier und hier angeschaut haben.
Vorteile
Dehnen ist nicht sonderlich anstrengend und kann, schnell helfen, das Gefühl der Anspannung in Muskeln zu reduzieren. Hierüber kann es dann auch zeitnah zu einer Linderung von Schmerzen kommen. Dies geschieht hauptsächlich dadurch, dass der Körper sich an das Dehnungsgefühl gewöhnt und deswegen mehr Bewegung zulässt.
Zusätzlich ist Dehnen vermutlich einer der bekanntesten Wege, um die Beweglichkeit zu verbessern, was auch sehr zügig funktionieren kann.
Neben diesen bekannten Effekten kann Dehnen auch zusätzlich die Elastizität der Blutgefäße verbessern und (theoretisch) sogar die Maximalkraft. Gerade der letzte Effekt ist allerdings in meinen Augen in der Praxis nicht sonderlich sinnvoll anwendbar, denn die Dehnung muss in einer hohen Intensität sehr lange gehalten werden (bis zu 2h!!!).
Was allerdings deutlich besser funktioniert, ist eine Reduzierung des Stresslevels, sodass auch hierüber Schmerzen gelindert werden können. Die Erklärung dafür kannst Du in diesem oder diesem Artikel nochmal nachlesen.
Nachteile
Es gibt einige Fälle, in denen Dehnen Schmerzen verstärken kann. Sei es bei Irritationen von Nerven oder auch teilweise bei Sehnenreizungen.
Bei Nerven liegt das Problem darin, dass diese nicht so dehnbar sind, wie beispielsweise Muskeln und auf Dehnung von Natur aus sensibel reagieren können. Wenn ein Nerv sowieso schon gereizt ist, würde eine Dehnung hier meist zu einer Verstärkung der Symptome führen. Hier bieten sich dann andere Behandlungsansätze eher an.
Im Falle von Sehnenreizungen kann Dehnen manchmal zu einer kurzfristigen Schmerzlinderung führen, in manchen Situationen kann es hierdurch allerdings auch zu einer Schmerzsteigerung kommen, da die Sehne auf eine intensive Dehnung empfindlich reagieren kann. Im Zweifel würde ich in diesem Fall auf Dehnungen eher verzichten.
Ein weiterer Nachteil von Dehnen ist, dass es oft nicht zu einer langfristigen Besserung von Beschwerden beiträgt. In vielen Fällen liegt das Problem darin, dass Deine Muskulatur nicht belastbar genug ist und aus diesem Grund immer wieder verspannt und Beschwerden hervorruft (stark vereinfacht erklärt).
Krafttraining
Unter Krafttraining werden die Formen von Training zusammengefasst, bei denen die Muskulatur gegen einen Widerstand anspannt. Hier wird hauptsächlich zwischen drei Formen unterschieden:
- konzentrisch (Muskel zieht sich zusammen)
- exzentrisch (Muskel arbeitet bremsend und lässt langsam in Richtung Verlängerung nach)
- isometrisch (Muskel spannt an, es findet aber keine Bewegung statt)
Vorteile
Auch Krafttraining kann unmittelbar schmerzlindernd wirken, unter anderem durch die Ausschüttung von Endocanabinoiden und auch Endorphinen, schau Dir dazu gerne nochmal folgenden Artikel an. Hierfür ist es dann sogar egal, ob Du die betroffenen Muskeln direkt trainierst oder andere Muskeln, da der Effekt systemisch, das heißt im ganzen Körper auftritt.
Wenn es darum geht, schmerzhafte Muskeln oder Sehnen zu trainieren, finde ich häufig isometrisches Training einen sinnvollen Startpunkt, da es oft am besten verträglich ist.
Krafttraining hat zudem den Vorteil, dass es langfristig die Belastbarkeit des Bewegungsapparats verbessert, da Gelenke besser ernährt werden (Stichwort Arthrose), Bandscheiben dicker werden können (Stichwort Bandscheibenvorfall) und auch die Muskulatur kräftiger und somit belastbarer wird.
Übrigens kann Krafttraining genauso wie Dehnen zu einer Verbesserung der Beweglichkeit führen, solange es wirklich auch über das komplette Bewegungsausmaß durchgeführt wird. Der Vorteil hierbei ist dann, dass Du das neu gewonnene Bewegungsausmaß auch vernünftig aktiv nutzen lernst, was beim Dehnen nicht unbedingt der Fall ist. In manchen Bereichen, wie beispielsweise den Sprunggelenken, finde ich persönlich Krafttraining auch effektiver zu Verbesserung der Beweglichkeit, als Dehnübungen.
Nachteile
Es gibt Phasen, in denen Krafttraining sinnvoll ist und Dir hilft Deine Schmerzen zu lindern, wenn es allerdings zu früh nach einer Verletzung oder aber zu intensiv durchgeführt wird, kann es zu einer Steigerung der Schmerzen kommen.
Wichtig ist also, dass Du weißt, was die Schmerzen bei Dir auslöst, im Zweifel such hierfür bitte einen Experten auf, der Dich dahingehend beraten kann.
Hiermit will ich Dir allerdings keine Angst machen, die haben viele Patienten sowieso schon zur Genüge. Krafttraining ist an sich eine der sichersten Trainingsformen, die die geringste Verletzungsgefahr hat. Solange Du beim Training auf die Reaktionen Deines Körpers achtest, kannst Du in meinen Augen wenig falsch machen. Das Problem ist allerdings, dass die Reaktion manchmal erst nach dem Training auftreten kann.
Das ist auch der Grund, warum ich Dir den Rat eines Experten empfehlen würde.
Vergleich
Wie Du siehst, lassen sich sowohl über Krafttraining, als auch über Dehnen Schmerzen lindern, das ist doch schonmal top. Du kannst also theoretisch die Form nutzen, die Dir lieber ist.
Bedenken solltest Du hierbei, dass Dehnen vor allem kurzfristige Effekte hat und Krafttraining neben den kurzfristigen auch langfristige Effekte mit sich bringt, die Nachhaltigkeit zu einer Reduktion Deiner Schmerzen führen kann. Mein persönlicher Rat wäre, beides miteinander zu kombinieren.
Jeden Tag Krafttraining wird schnell zu mehr Problemen führen, als dass es Dich weiterbringt, Überlastungen lassen grüßen. An Tagen, an denen Du kein Krafttraining machst, kannst Du dann allerdings zusätzlich Dehnübungen nutzen, um Deine Schmerzen weiter zu lindern. Vielen hilft so ein Lockern auch im Hinblick auf die Regenerationsfähigkeit, sodass Dein Training auch effektiver wird.
Wie Du vielleicht schon mitbekommen hast, ist mein Name Etienne Ries.
Ich bin Heilpraktiker, Osteopath und Physiotherapeut und schon von klein auf vom menschlichen Körper fasziniert. Nachdem ich mehrere Jahre als angestellter Physiotherapeut gearbeitet habe, habe ich mir 2021 den Traum der eigenen Praxis erfüllt und habe mich hier auf die Arbeit mit Schmerzpatienten und Sportlern spezialisiert. Wie Du im Blog merken wirst, sind das aber nicht meine ausschließlichen Behandlungsfelder. Zur Terminbuchung kommst Du übrigens bequem hier.
Diese Faszination versuche ich sowohl in meiner Arbeit an meine Patienten weiterzugeben, als auch mittels des Blogs und anderer Social Media Formate, wie YouTube…
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